Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schalke packen – oder unten bleiben
Stuttgart und die Knappen schießen kaum Tore und verzweifeln am Umbau ihrer Mannschaften
STUTTGART - Es ist mehr als ein Jahrzehnt her, da warb der VfB Stuttgart mit dem Slogan „Wir packen Schalke“für mehr Mitglieder. Tatsächlich verdreifachte Württembergs Fußballstolz die Anzahl seiner Anhänger seither auf 66 000, bloß: Schalke schaffte es halt, sie zu vervierfachen. 157 000 eingetragene Fans zählen die Knappen inzwischen, sie sind damit viertgrößter Club der Welt. Es gibt zwar noch ein Ranking, in dem Stuttgart nationale Spitze ist – in der Zahl der eigenen Talente, die in den fünf großen Topligen spielen: 22 Stuttgarter haben das geschafft, Neunter ist der VfB damit in Europa und weit vor den ebenfalls für ihre Jugendarbeit gerühmten Schalkern (12 Spieler). Nur: Die Begeisterung darüber hält sich in Grenzen am Neckar. Denn längst spielen die Kehrers, Kimmichs und Werners eben woanders, und der Nachwuchs lag zwischenzeitlich im Argen. Immerhin: Die A-Junioren sind wieder führend sind im deutschen Süden.
Man muss all dies wissen, denn vor dem direkten Duell heute (15.30 Uhr/ Sky) in Stuttgart scheint das Credo von einst das gleiche geblieben zu sein: „Wir haben die Chance, an Schalke vorbeizuziehen. Unser Ziel ist es, noch einmal alles rauszuhauen. Wir brauchen 100 Prozent“, sagt Stuttgarts Trainer Markus Weinzierl, nur: Längst geht es bei diesem Überholmanöver nicht mehr um ein Eindringen in die deutsche Spitze. Im Gegenteil: Stuttgart ist mit 14 Zählern Drittletzter, Schalke mit 15 Zählern Fünftletzter, beide haben eine Hinrunde hingelegt, die fußballästhetisch betrachtet bedenklich war. Der Verlierer wird also mit lamettadicken Sorgenfalten unterm Weihnachtsbaum sitzen.
Beim VfB ist das Problem immerhin leicht definierbar: Nur 67 Chancen hat sich der Club in der Hinrunde erspielt – die drittwenigsten der Liga –, und nur elf davon genutzt. Eine normale Chancenauswertung von 25 Prozent, und er hätte sechs Tore und sicher auch einige Punkte mehr. Vor allem am 20-jährigen Nicolas Gonzalez entzündet sich mehr und mehr Kritik. Der unter Weinzierl gesetzte neue Stürmer aus Argentinien hat in 15 Spielen gerade mal einen Assist erzielt – jüngst beim 2:1 gegen Berlin. Zu wenig für einen 8,5-Millionen-EuroZugang, der als eines der größten Talente Südamerikas angepriesen wurde. Weinzierls Maßnahme, in Wolfsburg hinter Mario Gomez und Gonzalez in Chadrac Akolo und Tassos Donis zwei weitere Halbstürmer zu bringen, verpuffte – nur zwei Chancen kreierten die Stuttgarter beim 0:2, sie waren chancenlos.
„Wir haben eine Vorrunde gesehen, mit der wir alle unzufrieden sind. Aber wir sehen gerade auch eine Mannschaft, die sich wehrt“, sagte Weinzierl am Donnerstag, und bei der Wehrhaftigkeit wird ihm heute wieder Andreas Beck helfen. Der in Aalen aufgewachsene Rechtsverteidiger, mit dem der VfB alle 14 Punkte holte, ist wieder fit und wird den 17-jährigen Antonis Aidonis, der in Wolfsburg sein Startelfdebüt gab, ersetzen.
Beck steht dennoch sinnbildlich für das Problem, mit dem der VfB spätestens in zwei Jahren konfrontiert wird: Dann werden Gomez (33), Gentner (32), Aogo (31), Castro (31) sowie Insua und Badstuber, die bald 30 werden, zu alt sein, um jene Führungsaufgaben zu übernehmen, an denen die junge Generation beim VfB derzeit noch scheitert. Im Kader von Manager Michael Reschke mangelt es an Spielern im besten Alter, an 25- bis 28-Jährigen, und auch daran könnte im Winter gefeilt werden: „Wir brauchen Neuzugänge“, sagt Weinzierl deutlich. Mit Patrick Herrmann (27) und/oder Yunus Malli (26), die Gladbach und Wolfsburg verlassen wollen, könnten die Problemzonen in der Offensive und der Altersstruktur behoben werden. Bis zu zehn Millionen Euro will Präsident Wolfgang Dietrich im Winter für Neuzugänge locker machen.
Schalke mit sechs Verletzten
Vizemeister Schalke, der mit 17 Toren den viertschwächsten Angriff der Liga stellt, vergraulte zuletzt sogar die eigenen Anhänger, will aber an Trainer Domenico Tedesco festhalten. „Der Trainer bleibt, aber wir werden im Januar verändert in die Rückrunde gehen. Wir werden auch unsere Personalpolitik hinterfragen und versuchen, eine Lösung zu finden“, erklärte Manager Christian Heidel. Dass es dem gebürtigen Stuttgarter Tedesco nur schwer gelingen wird, den Abgang seiner drei Besten Goretzka, Meyer und Kehrer zu kompensieren, war immerhin absehbar, und tatsächlich hatte Schalke zuweilen auch Pech.
Geht es nach den Statistikexperten von Understat, die alle Chancen nach ihrer Größe auswerten, müsste Schalke Achter sein, mit acht Punkten mehr. Der VfB dagegen wäre in diesem Ranking Vorletzter. Dennoch könnte er die Schalker, die sechs Verletzte beklagen, heute packen: „Wir haben die letzten beiden Heimspiele gewonnen. Und wir hoffen, dass am Samstag noch eins hinzukommt, dann können wir Weihnachten feiern“, sagte Weinzierl, für den ein Sieg eine Genugtung wäre. Er selbst war 2017 als Schalke-Trainer – trotz Goretzka, Meyer und Kehrer – krachend gescheitert, Tedesco ist sein Nachfolger.