Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ravensburg steht vor einem Hotelboom
Zahl der Übernachtungsgelegenheiten steigt im Jahr 2020 stark an – Was bisherige Hotelbetreiber fürchten
RAVENSBURG - „Sehr gefragt!“steht unter vielen Hotelangeboten für Ravensburg, wenn man derzeit in einer Online-Plattform nach Übernachtungsmöglichkeiten sucht. Die verfügbaren Zimmer werden zwischen den Feiertagen offenbar knapp. Bald wird sich das Angebot ausweiten: In Ravensburg werden an vier Orten zur Zeit neue Hotels gebaut oder geplant. 2020 sollen die Häuser eröffnet werden. Dann kommen auf einen Schlag zu den knapp 780 Hotelbetten in der Stadt (Stand 2017) vermutlich mehr als 600 neue hinzu – das bedeutet ein Plus von mindestens 80 Prozent. Werden so viele zusätzliche Schlafgelegenheiten überhaupt gebraucht? Und was bedeutet der Boom für die bestehenden Hotels?
Alteingesessene Hoteliers schauen mit gemischten Gefühlen auf die bevorstehende Entwicklung in ihrem Markt. Der Betreiber von Engel (10 Zimmer) und Storchen (20 Zimmer), Ulrich Schmalz, rechnet für sein Geschäft mit Einbußen. „Selbstverständlich gehen wir davon aus, dass die Vielzahl der neuen Hotelzimmer Auswirkung auf unsere Auslastungszahlen haben wird“, sagt er. Beide Hotels bekommen direkte Konkurrenz: „Der Storchen dürfte eher im Bereich des B&B angesiedelt sein, während der Engel ein gehobenes 3-Sterne-Niveau hat“, sagt Schmalz. Gehobenes Drei-SterneNiveau strebt auch das GINN City & Lounge Hotel am Bahnhof an.
Schmalz: Storchen muss umgebaut werden
Schmalz will auf die zunehmende Konkurrenz mit eigenen Investitionen reagieren. Er kündigt an, dass im Engel für 2019 Maßnahmen geplant seien, um den Komfort für die Hotelgäste zu verbessern. „Gerade im Hinblick auf die neuen Hotels ist mittelfristig ein Umbau des Storchen unumgänglich. In seinem jetzigen Zustand wird sich der Storchen kaum gegen die neuen Mitbewerber behaupten können“, sagt er.
Unterm Strich ist er optimistisch, dass er seine Häuser auch in Zukunft wirtschaftlich betreiben kann. „Dass in Ravensburg ein Bedarf an zusätzlichen Zimmern besteht, ist unbestritten“, sagt Schmalz, „ob es in dem geplanten Umfang erforderlich ist, wird sich wohl erst noch zeigen müssen.“Als schwierig erscheine ihm vor allem der relativ kurze Zeitraum, in dem die neuen Hotels eröffnen sollen.
Die Stadt frohlockt angesichts der vielen zusätzlichen Hotels. Als Anfang November bekannt wurde, dass mit dem B&B-Hotel ein viertes Projekt auf den Ravensburger Hotelmarkt drängt, wurde Oberbürgermeister Daniel Rapp in einer Pressemitteilung der Baufirma mit den Worten zitiert: „Wir freuen uns, dass die B&B-Gruppe sich für den Standort Ravensburg entschieden hat und ab Sommer 2020 das Übernachtungsangebot in unserer Stadt bereichert.“Baubürgermeister Dirk Bastin geht indes davon aus, dass durch die Vielzahl der Hotels ein Verdrängungswettbewerb in Gang kommt.
Dominik Buck vom Hotel Sennerbad (39 Betten, nach eigenen Angaben im 3-Sterne-Bereich) ist enttäuscht darüber, dass die Neubauprojekte von Regionalpolitikern begrüßt würden und es in Bezug auf die Bestandshäuser nur heiße, sie müssten sich nun dem Wettbewerb stellen und investieren, um zu überleben. „Das ist bezogen auf den freien Markt vollkommen verständlich und gut so. Dennoch weckt es den Eindruck, dass vergessen wird, wer die letzten Jahre die Gäste von Ravensburg beherbergt hat“, sagt Buck.
Er fürchtet ab 2020 vor allem die Winterhalbjahre, in denen die Auslastung schon jetzt nicht sonderlich hoch ist. „Gerade in dieser Zeit gehen wir von einem gewissen notwendigen Preiskampf aus“, sagt Buck. Er will in der Werbung mit dem punkten, was das Sennerbad aus seiner Sicht den neuen Konkurrenten voraushat: „Wir sind ein kleines Hotel und wollen dem Gast eine ,ZuhauseAtmosphäre’ schaffen, die er in größeren, standardisierten Kettenhäusern eher nicht findet.“
Besser sei die Lage im Sommer und zu Zeiten von Messen in Friedrichshafen oder bei größeren Veranstaltungen in Ravensburg – dann werden mehr Zimmer gebraucht, als es derzeit gibt, wie Buck sagt. Allerdings bewege sich die Zahl der Übernachtungen seit mehreren Jahren um die 110 000 Stück pro Jahr. „Da ein enormer Ausschlag nach oben nicht zu erwarten ist, gehen wir nicht von einer stabilen künftigen Belegung aus“, so Buck. Steigt die Zahl der Übernachtungen nicht deutlich, bedeutet das nicht nur für Bucks Hotel: leere Zimmer und weniger Geld in der Kasse.
Ravensburg hat weniger Betten als Sigmaringen
Die künftigen Betreiber der zusätzlichen Hotels müssen mit großem Potenzial rechnen, sonst hätten sie sich nicht für Ravensburg entschieden. Die Hotelkette B&B, die als letzte ihre Pläne publik gemacht hat, nennt als Gründe für die Attraktivität die starke Wirtschaft in der Region, das Ravensburger Spieleland und das historische Stadtzentrum. Einen Mix aus Touristen und Geschäftsreisenden prägt das Konzept aller künftiger Hotelbetreiber.
Stand 2017 hat Ravensburg 778 Betten in den Unterkünften – und damit weniger als Biberach (859), das ähnlich große Heidenheim (852), Wangen (935), Sigmaringen (1117) und natürlich weniger als am See in Friedrichshafen (4289).
IHK fordert Stadt zum Handeln auf
Zurück zur großen Frage: Werden all die neuen Hotels überhaupt gebraucht? Ja, sagt Bernhard Nattermann, der bei der IHK BodenseeOberschwaben Referent für Handel, Dienstleistung und Tourismus ist. Das Hotelangebot in Ravensburg sei nicht nur zu Messezeiten knapp. Auch für große Reisegruppen gebe es bisher kein Haus mit der notwendigen Zimmerkapazität. „Diese Marktlücke wird mit der Ansiedlung der neuen Hotels geschlossen“, sagt Nattermann. Und – so hart es klingt – die Ravensburger Hotels sind aus Nattermanns Sicht nicht modern genug. „Für den ganzjährigen Geschäftstourismus gibt es zwar Angebote, aber das jetzt in Realisierung befindliche Komfort- und Preisniveau fehlt in weiten Teilen des Schussentals.“Aus seiner Sicht wandeln sich die Ansprüche der Geschäftsleute: „Es werden vermehrt Hotels nachgefragt, wie man sie von den Metropolen her kennt.“Der Experte ist sicher: „Auf die etablierten Hotels kommt eine große Herausforderung zu. Die Zimmerpreise könnten unter Druck geraten.“
Aus seiner Sicht müssen aber nicht nur die alteingesessenen Hoteliers etwas tun. „Der Zeitraum bis zur Eröffnung der neuen Hotels sollte aus Sicht der IHK genutzt werden, um eine Tourismuskonzeption für die Stadt Ravensburg auf den Weg zu bringen, in der neue Vermarktungsmöglichkeiten herausgearbeitet werden.“Durch die zusätzlichen Hotels ergeben sich aus Nattermanns Sicht neue Chancen für den Tourismusstandort Ravensburg. Die Lage zwischen den Reisezielen Bodensee, Oberschwaben und Allgäu sowie die gut erhaltene Altstadt – eine Kombination, die aus Nattermanns Sicht touristisches Potenzial birgt.