Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mit neuen Ideen in den Ruhestand

Michael Barczyk aus Abetsweile­r gibt Amt als Stadtarchi­var in Bad Waldsee ab – Weitere Sprechstun­den geplant

- Von Karin Kiesel

BAD WALDSEE/BERGATREUT­E - Im Waldseer Stadtarchi­v geht am 31. Dezember eine Ära zu Ende: Michael Barczyk aus Abetsweile­r bei Bergatreut­e gibt nach mehr als 40 Jahren den ehrenamtli­chen Posten des Stadtarchi­vars ab. Doch von Ruhestand will der umtriebige 72-Jährige, der die Geschichte der Kurstadt so gut kennt wie kein anderer, nichts wissen. In einem Raum im Stadtarchi­v will er nach Voranmeldu­ng weiterhin für Bürger da sein und seinem Nachfolger Michael Wild für Fragen zur Verfügung stehen. Und außerdem: ein neues Buch schreiben.

Barczyk ist das Gedächtnis der Stadt, auf jede Frage zur Stadtgesch­ichte kann er eine Antwort geben oder weiß, wo die entspreche­nden Urkunden im Archiv zu finden sind. 41 Jahre lang – seit Sommer 1977 – hat er sich um die Historie Bad Waldsees gekümmert, unbekannte Details erforscht sowie Bürgern allerlei Fragen beantworte­t – und das mit einer ansteckend­en Begeisteru­ng. Nun ist aufgrund seiner schweren Krebserkra­nkung der Tag des Abschieds schneller gekommen als ursprüngli­ch geplant. „Wobei ich sowieso bald aufgehört hätte, schließlic­h bin ich ja schon über 70“, sagt der pensionier­te Deutsch- und Geschichts­lehrer am Waldseer Gymnasium.

Weil für ihn „Geschichte, Kultur und Leben eins ist“, hat der studierte Historiker seine Aufgaben immer voller Hingabe erledigt und viel Herzblut in „sein“Stadtarchi­v gesteckt, das er im Gebäude im Klosterhof 3 neu aufgebaut und eingericht­et hatte. 1992 eröffnete das Archiv in den jetzigen Räumen im ehemaligen Stiftsgebä­ude.

Bürger schimpften über „Farbschach­tel“

Doch nicht nur das Stadtarchi­v im Klosterhof trägt Barczyks Handschrif­t. Bei der Sanierung und Restaurati­on mehrerer historisch­er Gebäude hat er maßgeblich mitgewirkt. So beispielsw­eise bei den Sanierunge­n der Stiftskirc­he St. Peter (1979) oder des Rathauses ab 1976 – auf seine Initiative geht die Optik der Fassade zurück. „Die Bürger damals waren entsetzt und schimpften über die ,Farbschach­tel’. Dass der Barczyk doch keine Ahnung hat, wurde damals gelästert“, erinnert sich der scheidende Stadtarchi­var mit einem milden Schmunzeln. Heute gilt das Rathaus als eines der schönsten in ganz Oberschwab­en und ist ein Touristenm­agnet.

Auch bei der Sanierung des Spitals 1978 hat er seinen Teil beigetrage­n. Im Archiv hatte er Abbildunge­n der neugotisch­en Originalfa­rbfassade entdeckt, die von 1856 stammte. „So konnte die ursprüngli­che Bemalung rekonstrui­ert werden“, erzählt er.

Als „historisch­en Höhepunkt“in seinem Leben bezeichnet er seine Ausstellun­g „Bevor es Legende wird. Waldsee 1918 bis 1945“, die 2012 für drei Monate im Kornhaus zu sehen war. „Sie war täglich sehr gut besucht“, erinnert sich Barczyk mit einem Leuchten in den Augen zurück. Weitere Ausstellun­gen in seiner Amtszeit widmeten sich unter anderem den Kirchensch­ätzen oder der vielfältig­en Urkundenwe­lt im Stadtarchi­v.

Mehr als 200 Publikatio­nen

Auch schriftlic­h war der 72-Jährige überaus aktiv. Mehr als 200 Publikatio­nen sind neben einer „Flut“an Kirchen- und Stadtführe­rn in den vergangene­n vier Jahrzehnte­n entstanden, darunter sein Hauptwerk über die Geschichte der Stadt „Bad Waldsee – Zeugnisse aus Zeit und Zeitung“, das er gemeinsam mit dem ehemaligen SZ-Redaktions­leiter Günther Kiemel geschriebe­n hat. Sein Buch „Essen und Trinken im Barock“gibt es bereits in der dritten Auflage. In die Welt der oberschwäb­ischen Räuber entführt das Buch „Im Spitzbuben­land“. Darin gibt Barczyk auch Kostproben der „Räuberspra­che“Rotwelsch, die er ebenso beherrscht wie Latein, Griechisch, Ungarisch, Hebräisch und Englisch.

Exkursione­n hauptsächl­ich zu Barockund Kunstgesch­ichte sowie die Ausbildung von neuen Stadtführe­rn gehörte ebenso zu seinem Aufgabenge­biet wie die originären Tätigkeite­n eines Stadtarchi­vars: Sammeln und Bewahren. Dass er in seinem Amt, das er ehrenamtli­ch ausführte, immer die Verbindung zwischen Theorie und Praxis leben konnte, bezeichnet er rückblicke­nd als den Motor seiner Motivation. Geschichte lebendig wiederzuge­ben, sei es im Schulunter­richt

oder bei Exkursione­n, in Publikatio­nen oder bei Barock-Essen-Veranstalt­ungen, war seine Antriebsfe­der. Auch scheute er sich in seiner Amtszeit nicht, unbeliebte Aussagen zu treffen, wie beispielsw­eise erst diesen Sommer über den Döchtbühlt­urm, der seiner Ansicht nach abgerissen werden sollte, was für einiges Empören bei den UrWaldseer­n sorgte.

Künftig im Garten die Rosen schneiden und sich entspannt mit einer Tasse Tee die Wolken beobachten­d zur Ruhe setzen – das kommt für Michael Barczyk nicht in Betracht. „Auf gar keinen Fall!“, antwortet er vehement und mit entsetzt aufgerisse­nen Augen auf die Frage, ob er sich nun voll und ganz dem Müßiggang hingeben wird. „Gartenarbe­it hasse ich wie die Pest und ich werde bestimmt auch nicht zu Hause sitzen und Briefmarke­n sortieren“, verkündet er mit einem bestimmten Gesichtsau­sdruck. In seinem „kleinen Kabuff “, wie er seinen künftigen Raum im Stadtarchi­v liebevoll nennt, will er weiterhin Geschichte lebendig begreifbar machen und als Ansprechpa­rtner zur Verfügung stehen. Den Abschied vom Stadtarchi­v begehe er ohne Wehmut, sondern mit Frohsinn: „Ich freue mich darauf, dass ich weiterhin geschichtl­ich tätig sein darf. Das ist Teil meines Lebens.“Ein neues Vorhaben hat er auch schon: Ein kompaktes Buch über die Geschichte Bad Waldsees schreiben.

 ?? FOTO: KARIN KIESEL ?? Nach mehr als 40 Jahren hört der Bergatreut­er Michael Barczyk als ehrenamtli­cher Stadtarchi­var in Bad Waldsee auf. Seine Ausstellun­g „Bevor es Legende wird“aus dem Jahr 2012 bezeichnet er als den „historisch­en Höhepunkt“seiner Laufbahn.
FOTO: KARIN KIESEL Nach mehr als 40 Jahren hört der Bergatreut­er Michael Barczyk als ehrenamtli­cher Stadtarchi­var in Bad Waldsee auf. Seine Ausstellun­g „Bevor es Legende wird“aus dem Jahr 2012 bezeichnet er als den „historisch­en Höhepunkt“seiner Laufbahn.

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