Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Ein neuer Wettlauf zum Mond ist im Gang“
Raumfahrtexperte Johannes Weyer hält nichts von außerirdischen Plänen
BERLIN - Lange Zeit schien die Raumfahrt nur noch für die Wissenschaft interessant zu sein. Aber in jüngster Zeit faszinieren geplante Marsmissionen, die Sicht eines Alexander Gerst auf unseren Planeten oder eben die aktuelle Landung der Chinesen auf der Rückseite des Mondes. Der Technologiesoziologe und Weltraumexperte Johannes Weyer von der TU Dortmund sieht die Entwicklung in der Raumfahrt kritisch. Mit ihm sprach André Bochow.
Was bedeutet die Landung auf der erdabgewandten Seite des Mondes für die Chinesen und was bedeutet es für die internationale Raumfahrt?
Für die Chinesen ist es natürlich ein großer Schritt. Das ist eine Pionierleistung, die man vielleicht mit der Erstbesteigung des Mount Everest vergleichen kann. Das ist schon ein enormer Prestigegewinn. Und im internationalen Vergleich zeigen die Chinesen, dass sie bei der Raumfahrt in Zukunft ein ganz entscheidendes Wort mitreden werden.
Welchen wissenschaftlichen Nutzen könnte die chinesische Mission am Ende haben?
Nun, man erforscht die unbekannte Seite des Erdtrabanten und schafft die Möglichkeit, auf neue Weise ungestört Signale aus dem Weltall empfangen zu können. Darüber hinaus gibt es ja die Idee, den Mond eines Tages besiedeln zu können. Das halte ich allerdings für Science Fiction. Tatsächlich geht es vor allem um die Demonstration von technologischer Leistungsstärke.
Stehen da Aufwand und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis?
Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass unbemannte Raumfahrt durchaus sinnvoll sein kann. Aber wenn es wieder um bemannte Mondmissionen geht, dann ist der Aufwand gemessen am Nutzen entschieden zu groß.
Bemannte Raumfahrt lehnen Sie ab?
Sie ist einfach zu teuer und die wissenschaftlichen Ergebnisse sind sehr mager. Allein der Transport und die lebenserhaltenden Maßnahmen für die Raumfahrer verschlingen Unsummen. Zudem sind die Astronauten die Hälfte der Zeit im All krank. Darüber wird selten geredet. Das Weltall ist lebensfeindlich. Schon wegen der kos- mischen Strahlung. Muskeln schrumpfen und Knochen auch. Letzteres kann man nicht kompensieren.
Und der berühmte Blick auf die Erde und ihre Probleme, den uns gerade der Astronaut Alexander Gerst nahegebracht hat, zählt der nicht? Vielleicht geht es nicht nur um Kosten-Nutzen-Rechnungen?
Wir haben seit 50 Jahren bemannte Raumfahrt. Und was hat das denn wirklich gebracht? Den ersten Blick auf die Erde hat uns schon eine unbemannte Sonde geschenkt. Was hat Alexander Gerst dem hinzufügen können? Außer, dass er diesen Blick auch noch einmal hatte. Was ein teurer Spaß war und 300 Millionen Euro gekostet hat.
Sie haben es schon erwähnt, mit Mondlandungen und Reisen zum Mars verbinden manche auch die Hoffnung, die Menschheit könne eines Tages einen Ersatzplatz im All finden. Eine Illusion, die gefährlich ist, weil es von Problemlösungen auf der Erde ablenkt?
Ja. Wir haben wirklich andere Sorgen, als uns damit zu beschäftigen, wie Milliarden Menschen auf Trabanten oder Planeten siedeln können, auf denen sie der kosmischen Strahlung ausgesetzt sind und wo sie keine Luft zum Atmen haben. Wir müssen uns auf das Überleben auf dieser Erde konzentrieren. Das ist offenbar schwer genug.
Der Kampf um Erfolg im All ist also nach wie vor politisch motiviert?
Da hat sich wenig geändert. In den 50er- und 60er-Jahren war es der Wettkampf der Russen und Amerikaner. Nun kommen die Chinesen dazu. Aber nach wie vor gilt: Wer den Weltraum beherrscht, beherrscht auch die Erde. Und das ist nicht zuletzt militärisch gemeint. Sollte es jemals wieder einen großen Krieg geben, dann wird der nicht zuletzt im All ausgetragen. Da würde es um das Ausschalten von Kommunikationssatelliten gehen oder um außerirdische Abschussrampen für Interkontinentalraketen.
Wie sehen Sie die künftige Entwicklung in der internationalen Raumfahrt? Werden die Chinesen dominieren?
Ich hoffe, dass es weiterhin Kooperation geben wird. Das ist übrigens das Positive an der ISS. Dort haben sich Russen, Amerikaner und Europäer auf Zusammenarbeit verständigt. Allerdings haben sie bewusst die Chinesen außen vor gelassen.
Und worum wird es bei der Raumfahrt in Zukunft vor allem gehen?
Ich fürchte, es ist ein neuer Wettlauf zum Mond in Gang gesetzt worden. Dabei gibt es dort wenig zu holen. Ob es jemals sinnvoll sein wird, auf dem Mond Rohstoffe abzubauen, bezweifele ich. Auch die bemannten Marsmissionen sind größtenteils unsinnig und verpulvertes Geld. Ich hoffe aber immer noch, dass die Entwicklung in eine andere Richtung geht. Wir sollten die Raumfahrttechnik nutzen, um die globalen Probleme in den Griff zu bekommen.