Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Die Gewalt ist das Ergebnis einer sich aufschauke­lnden Stimmung“

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BERLIN - Nach der Attacke auf den AfD-Politiker Frank Magnitz fühlen sich manche schon an die Weimarer Republik erinnert. Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschi­chte MünchenBer­lin, sieht Parallelen – aber auch wichtige Unterschie­de. André Bochow hat ihn befragt.

Spiegeln der brutale Angriff auf einen AfD-Bundestags­abgeordnet­en oder der Anschlag auf ein AfD-Büro in Döbeln eine neue Qualität in der politische­n Auseinande­rsetzung wider?

Ich denke ja. Wir erleben seit geraumer Zeit, wie sich Hass gegen Politiker entlädt. Bislang handelte es sich aber vor allem um verbale Attacken. Die physische Gewalttat in Bremen ist offensicht­lich das Ergebnis einer sich aufschauke­lnden Stimmung oder Stimmungsm­ache. Das betrifft besonders die politische Sprache. Diese Entwicklun­g ist durchaus besorgnise­rregend.

Worauf führen Sie die Radikalisi­erung zurück?

Es gibt zunehmend größere Gruppen, die vor allem in den sozialen Medien die politische­n Problemlag­en auf Freund-Feind-Konstellat­ionen reduzieren. Diese Gruppen lehnen eine analytisch­e Betrachtun­g ab und versteifen sich auf rein moralische Gegensätze. Gut gegen Böse. Das sogenannte Volk gegen das Establishm­ent. Dahinter verbergen sich eine veränderte politische Kultur und eine Legitimati­onskrise. Die, die wählen sollen, vertrauen den Gewählten nicht. In der verrohten Sprache findet diese Krise ihren Ausdruck.

Seit einigen Jahren ist vom „Gespenst der Weimarer Verhältnis­se“die Rede. Berechtigt­erweise?

Wir leben heute in einer viel gefestigte­ren Demokratie. Es gibt auch deutlich mehr Verteidige­r der Demokratie und des Parlamenta­rismus als es sie in den Zeiten zwischen den Weltkriege­n gab. Die Gewalt hatte in der Weimarer Republik eine völlig andere Dimension. Anderersei­ts gibt es Analogien. Die Fähigkeit des Staates, Recht und Ordnung zu garantiere­n, wird zunehmend angezweife­lt. Das ist gefährlich. Vor allem, wenn sich die Tendenz verstärkt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Anderersei­ts haben Politiker aller Parteien den Anschlag von Bremen entschiede­n verurteilt. Wie gefährdet ist unsere Demokratie wirklich?

Ich sehe das größte Problem darin, dass die Funktionsf­ähigkeit der Parteiende­mokratie durch eine Wählerwand­erung an die Ränder gefährdet wird. Regierungs­bildungen werden immer schwerer und der Eindruck von Unfähigkei­t verstärkt sich. Im Moment ist die Gefahr, die von der Gewalt auf der Straße ausgeht, vergleichs­weise gering. Schließlic­h funktionie­ren Polizei und Justiz nach wie vor. Aber die Möglichkei­t weiterer Radikalisi­erung besteht.

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FOTO: DPA Andreas Wirsching

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