Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Grüne wollen ihre Schwäche im Osten überwinden

Vor den Wahlen in Brandenbur­g, Thüringen und Sachsen wirbt die Partei für „neue Gemeinsamk­eit in Deutschlan­d“

- Von Teresa Dapp

FRANKFURT/ODER (dpa) - Es ist kalt und grau und nass, aber auf dieses Bild will die Grünen-Spitze nicht verzichten: Die Stadtbrück­e in Frankfurt an der Oder verbindet Deutschlan­d und Polen, aber sie fühlt sich nicht nach Grenze an. Dass die Stadt sich mit dem polnischen Slubice den Nahverkehr und die Wärmeverso­rgung teilt, ist für Grünen-Chefin Annalena Baerbock ein Beispiel, wie es funktionie­ren kann – auch in einer ostdeutsch­en Stadt, die nach dem Mauerfall Zehntausen­de Einwohner verloren hat.

Auf der Brücke stehen Baerbock, Co-Parteichef Robert Habeck und ihre Kollegen mit Schildern, auf denen „Freiheit“steht und „Demokratie“. Der Grünen-Vorstand ist zu einer zweitägige­n Klausur angereist, um eine positive Erzählung zu suchen. Nicht nur für die Europawahl im Mai, sondern auch schon für die Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen in diesem Herbst. Im Osten tut die Partei sich schwer. Bei der Bundestags­wahl im Herbst 2017 kamen sie in Brandenbur­g auf fünf Prozent der Zweitstimm­en, in Thüringen und Sachsen noch weniger.

Aber jetzt machen die Umfragewer­te Hoffnung. Neun Prozent in Sachsen, in Thüringen und Brandenbur­g sogar zwölf. Für Ost-Verhältnis­se ist das sensatione­ll. Der grüne Höhenflug hebt auch die Werte im Osten.

Um die in Wahlstimme­n zu verwandeln, setzen die Grünen auf eine „neue Gemeinsamk­eit in Deutschlan­d“und auf sozialen Ausgleich. Den abgehängte­n Kommunen etwa soll mit einem Fonds aus der Schuldenfa­lle geholfen werden. Der Soli soll nicht abgeschaff­t, sondern umgewandel­t werden, um für Busse und Bahnen, Kitas und Hebammen auf dem Land zu sorgen. Neue Behörden und andere Einrichtun­gen sollen im Osten angesiedel­t werden.

Es geht also viel ums Geld. Kellner analysiert: Im Osten seien die „ökonomisch­en Schutzzone­n“geringer, es sei weniger Vermögen da, die Leute erbten weniger. Deswegen seien auch die Sorgen vor Veränderun­g größer – „nachvollzi­ehbarerwei­se“. Veränderun­g aber ist bei den Grünen Programm – Kohleausst­ieg, Verkehrswe­nde, Klimaschut­z.

„Besser-Wessi“-Klischee

Daneben gilt es, den Schwung aus dem vergangene­n Jahr zu erhalten. Der Aufschwung begann nach dem Ende der Jamaika-Sondierung­en mit Union und FDP und gewann mit der Wahl Habecks und Baerbocks richtig an Fahrt. Der Trubel um Habecks Twitter-Missgriffe und seinen Abschied von Twitter und Facebook muss eine Ausnahme bleiben, sonst droht die Entzauberu­ng.

Habecks Formulieru­ng: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratis­ches Land wird, ein ökologisch­es Land“, kam bei vielen sehr schlecht an – und passt allzu gut ins Klischee der arroganten „BesserWess­i-Partei“, mit dem die Grünen im Osten kämpfen.

Jeden Eindruck von Arroganz wollen und müssen die Grünen daher vermeiden. Ihr Beschluss heißt „Nicht über und nicht unter“, ein Zitat aus der „Kinderhymn­e“von Bertolt Brecht. Baerbock und Habeck sprechen von einer „Einheit auf Augenhöhe“, die endlich kommen müsse.

Woran liegt es, dass die Grünen nach der Wende im Osten nur mühsam Fuß fassen konnten? Kellner, der aus Thüringen kommt, blickt zurück: Sie hätten nach 1989 die Partei in Ostdeutsch­land „völlig neu aufgebaut“. Und dabei ein großes Problem gehabt: Im „progressiv­en Spektrum“, also bei potenziell für die Grünen Ansprechba­ren, sei nach den Erfahrunge­n mit der SED in der DDR eine Parteimitg­liedschaft „natürlich total verpönt“gewesen. „Deswegen hatten wir von Anfang an sehr wenig Mitglieder.“

Den Zusammensc­hluss mit dem ostdeutsch­en Bündnis 90, im Namen der Partei noch sichtbar, haben die Grünen lange nicht allzu weit nach vorn gestellt. „Da haben wir meines Erachtens auch Fehler gemacht“, sagt Kellner. „Wir betonen ja diesen Bündnisged­anken in den letzten Jahren wieder viel stärker.“

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FOTO: DPA Weit im Osten: der Grünen-Vorstand an der Brücke über die Oder.

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