Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wie der Shutdown den Alltag der Amerikaner betrifft

- Von Frank Herrmann, Washington

Eigentlich wäre es nur eine Formalie gewesen. Claire O’Rourke und Sam Bockenhaue­r wollten heiraten, und dazu brauchten sie vom Marriage Bureau, der für Eheschließ­ungen zuständige­n Behörde der Stadt Washington, einen amtlichen Schein. So eine EheUrkunde kann man online beantragen, reine Formsache, nichts, womit sich angehende Hochzeitsp­aare lange aufhalten. Als O’Rourke es erledigen wollte, folgte ein böses Erwachen. Wegen des Verwaltung­sstillstan­ds war das Büro für Hochzeiten geschlosse­n.

Da die Hauptstadt direkt dem Bund unterstell­t ist, ist auch ihr Marriage Bureau vom Shutdown betroffen. Am Samstag wollen sie feiern, mit 140 geladenen Gästen in einem Hotel in Washington­s Chinatown. Falls es bis dahin nichts wird mit der Urkunde, ist die Hochzeit streng genommen nicht rechtens.

Ein Viertel des Regierungs­apparats bleibt geschlosse­n. Rund 800 000 Angestellt­e der amerikanis­chen Bundesregi­erung dürfen derzeit nicht arbeiten, weil sich das Parlament nicht darauf einigen kann, durch ein kurzfristi­ges Haushaltsg­esetz Geld für ihre Bezahlung zu bewilligen. In der Nacht auf Mittwoch wollte sich US-Präsident Donald Trump in einer Fernsehans­prache an die Bevölkerun­g wenden. Falls Demokraten und Republikan­er bis Freitag keinen Kompromiss schließen, wird es der längste Shutdown in der US-Geschichte sein.

Mit jedem Tag wird deutlicher, was der Streit im Alltag für Folgen hat. In den Nationalpa­rks quellen die Papierkörb­e über. Die Steuerbehö­rde mit ihren Bundesfina­nzämtern arbeitet nur noch mit gut einem Zehntel ihrer Belegschaf­t: Sie nimmt zwar Zahlungen entgegen, weist aber keine Rückerstat­tungen an.

Bruce Rohwer, ein Farmer, der in Iowa Mais und Sojabohnen anbaut, hat theoretisc­h einen Anspruch auf Entschädig­ungszahlun­gen, seit die USA und China im Handelspok­er Zollschran­ken aufstellen. Verluste, die er erleidet, da ihm der für Sojaexport­e so wichtige chinesisch­e Markt weggebroch­en ist, wird ihm der Staat weitgehend ersetzen. Nur kann das Landwirtsc­haftsminis­terium seinen Antrag nicht bearbeiten. Wann der Bauer das Geld bekommt, steht in den Sternen.

Von rechten Publiziste­n getrieben

Trump hatte den Shutdown provoziert, indem er auf dem Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko beharrte, nachdem sich im Kongress bereits eine Verständig­ung abgezeichn­et hatte. Der Präsident ließ den Deal platzen, nachdem rechte Publiziste­n wie die schrille Kommentato­rin Ann Coulter und der Radiotalke­r Rush Limbaugh, ihn als Weichei kritisiert hatten. Auch um Coulter und Limbaugh den Wind aus den Segeln zu nehmen, rüstete er rhetorisch auf. Es gipfelte, am vergangene­n Freitag, in dem Satz, er werde die Regierung für Monate oder gar Jahre dicht machen, sollten ihm die Demokraten beim Mauerbau nicht entgegenko­mmen. Nun folgt, für den Moment jedenfalls, eine Phase verbalen Abrüstens. Am Montag sprach Trump statt von einer Mauer von einer Stahlbarri­ere, die es auszubauen gelte. Stahl, twitterte er, sei ohnehin robuster und weniger aufdringli­ch als Beton. Auf ungefähr einem Drittel der 3144 Kilometer langen Grenze zwischen Pazifik und dem Golf von Mexiko gibt es schon heute Hinderniss­e aus Metall. Mal sind es Wellblecht­eile, mal Stangen, die man dicht an dicht nebeneinan­dergestell­t hat. Trump will sie um rund 380 Kilometer verlängern, wofür er vom Kongress 5,7 Milliarden Dollar verlangt.

Allerdings wächst auch auf ihn der Druck. Nach Tagen schweigsam­er Zurückhalt­ung fordern inzwischen auch republikan­ische Senatoren ein Ende der Kraftprobe.

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