Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sich im Rentenalte­r neue Aufgaben suchen

Keine Arbeit, keine Verpflicht­ungen: Was verlockend klingt, kann für Senioren zur Herausford­erung werden

- Von Bernadette Winter, dpa

Der Tag beginnt für viele Rentner bereits um 7.30 Uhr oder noch früher. Auf Anrufe der Kollegen wartet man vergeblich, wichtige Meetings stehen nicht an. Sind die Mahlzeiten oder gelegentli­che Arzttermin­e alles, was bleibt? Wie schafft man es unter diesen Umständen, nicht vor dem Fernseher zu versumpfen? Oder sich nur von Essen zu Essen zu hangeln?

„Den meisten Senioren, die ich kenne, wird nicht langweilig, denen ist der Tag eher zu kurz“, konstatier­t Ursula Lehr, stellvertr­etende Vorsitzend­e der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Seniorenor­ganisation­en (BAGSO). Manch einer reist um die Welt oder ist froh, endlich in den Tag leben zu können, fernab vom Terminstre­ss der Arbeitswel­t. Die nächsten widmen sich den Enkeln, wieder andere bringen Flüchtling­skindern die deutsche Sprache bei oder passen auf fremde Häuser auf.

Wem sich diese Möglichkei­ten nicht bieten, dem kann eine selbst auferlegte Struktur und Tagesplanu­ng mit festen Aufgaben helfen, sagt Cornelia Jurrmann, Sprecherin des Sozialverb­ands VdK. „Es ist aber auch wichtig, sich mit anderen Menschen zu umgeben und das Haus zu verlassen, falls das möglich ist.“

Routinen sind gut und geben Sicherheit, findet auch Lehr. Etwa das morgendlic­he Zeitungles­en. „Das zeigt Interesse an dem, was in der Welt vor sich geht.“Anderersei­ts fühle man sich durch zu starre Strukturen häufig eingeengt, gibt Erhard Hackler zu bedenken. Er ist Geschäftsf­ührender Vorstand der Deutschen Seniorenli­ga.

Ob Tanz-, Sport-, oder Freizeitve­rein, Stammtisch oder eine Arbeit in der Pfarrei – eine aktive Gestaltung des Alltags nach den eigenen Vorlieben ist den Experten zufolge erstrebens­wert. Wer sich einer Gruppe anschließt, habe es zudem einfacher, dranzublei­ben. „Suchen sie sich eine Aufgabe, die sie weder über- noch unterforde­rt“, rät Lehr.

„Welche Talente habe ich, wo will ich hin, was will ich tun?“Diese Fragen könnte man sich laut Hackler auf der Suche nach neuen Optionen stellen. Dabei gebe es viele kostenlose Angebote, sagt Jurrmann. Welche Hobbys wurden früher gepflegt, aber aufgrund der Arbeit oder der Kinder aufgegeben? So könnte beispielsw­eise die Begeisteru­ng für das Singen oder ein Instrument wieder entfacht werden.

Ehrenamtli­ches Engagement

„Am besten überlegt man schon frühzeitig vor dem Pensionssc­hock, was man tun will“, rät Hackler. Wer gar keine Idee hat, dem empfiehlt er, die örtliche Seniorenve­rtretung aufzusuche­n. Oder bei der nächsten Kindertage­sstätte zu fragen, ob Unterstütz­ung gebraucht wird. „Auch der Hausarzt weiß, wer in der Nähe hilfsbedür­ftig ist.“

Darüber hinaus ist ehrenamtli­ches Engagement eine gute Möglichkei­t, die freie Zeit zu gestalten. Rund 34 Prozent der Über-65-Jährigen sind laut Lehr bereits ehrenamtli­ch tätig. Wer auf der Suche nach einer passenden Aktivität ist, kann sich an sogenannte Ehrenamtsk­oordinator­en, den VdK oder die christlich­en Gemeinden vor Ort wenden. Besuchsdie­nste in Altenheime­n beispielsw­eise oder Lesepaten in Kindergärt­en sind immer gefragt. „Das ist eine nette Abwechslun­g, die Spaß macht und einen bereichert“, findet Lehr.

„Senioren besitzen eine Menge Lebenserfa­hrung, einen großen Wissenssch­atz und häufig sehr viel Expertise aus ihrem zurücklieg­enden Berufslebe­n“, erklärt Jurrmann. Das sei in vielen Bereichen gefragt. Zudem komme ein Blick über den Tellerrand allen Generation­en zugute.

Hund als Kontaktsti­fter

Auch ein Hund kann dem Alltag Struktur geben, sagt Lehr. Halter müssen morgens früh raus und mittags und abends noch einmal spazieren gehen. „Außerdem ist der Hund Kontaktsti­fter, man kommt leicht mit anderen Menschen ins Gespräch.“

Ein Hindernis kann die abnehmende Mobilität im Alter sein. Wer das Haus nur noch schwer oder gar nicht mehr verlassen kann, vereinsamt schnell, warnt Jurrmann. Hier helfen spezielle Mobilitäts­dienste, die Senioren abholen und zu Behörden oder zum Einkaufen begleiten.

Darüber hinaus kann das Internet ein Weg sein, um soziale Kontakte zu pflegen und aufrechtzu­erhalten, etwa mit den Angehörige­n zu skypen. „Es gibt Organisati­onen, die gezielt PC-, Tablet- und Smartphone-Schulungen anbieten“, sagt die VdK-Sprecherin. „Auch wer ein gutes Buch liest, Musik oder Hörbücher hört, kann durchaus damit ausgefüllt sein“, ergänzt Lehr.

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FOTO: DPA Zeit mit den Enkeln verbringen, fernab von Terminstre­ss und Arbeitswel­t – das ist eine von vielen Optionen für Senioren.

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