Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Mord ja – aber keine besondere Schwere der Schuld

Berger Mordprozes­s: Angeklagte­r verbucht in der Berufungsv­erhandlung am Landgerich­t Ravensburg Erfolg für sich

- Von Sybille Glatz

RAVENSBURG / BERG - Schuldig des Mordes an seiner Ehefrau, aber keine besondere Schwere der Schuld. Mit dieser Entscheidu­ng endete am Dienstag die Berufungsv­erhandlung des Berger Mordprozes­ses am Landgerich­t Ravensburg. Damit konnte der heute 47-jährige Angeklagte einen Erfolg für sich verbuchen, wenn auch nur einen kleinen. Denn im September 2017 hatte das Landgerich­t Ravensburg ihn in erster Instanz wegen Mordes an seiner 43jährigen Ehefrau zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt und zugleich eine besondere Schwere der Schuld bei ihm festgestel­lt. Wäre es bei dem Urteil geblieben, hätte es für den Angeklagte­n keine Möglichkei­t gegeben, bereits nach 15 Jahren aus dem Gefängnis zu kommen. Mit dem abgemilder­ten Urteil ändert sich das. Doch die frühzeitig­e Haftentlas­sung ist kein Automatism­us. Das machte der Vorsitzend­e Richter Veiko Böhm bei der Urteilsver­kündung klar: „Raus kommt er nur, wenn er eine positive Sozialprog­nose hat.“

„Es ist ein Verbrechen, das die Gemüter in der Region erregt hat wie kaum ein zweites“, erklärte Böhm. Nach Ansicht des Gerichts hat sich die Tat so abgespielt: Im Juli 2016 fuhr der Angeklagte mit den drei gemeinsame­n Kindern für ein Wochenende in eine Therme nach Erding. Doch noch am Tag der Ankunft fuhr er um Mitternach­t wieder nach Berg zurück. Dort drang er in das Haus seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau ein, überrascht­e sie im Schlaf und würgte sie bis zur Bewusstlos­igkeit. Den bewusstlos­en oder bereits leblosen Körper zog er dann vom Bett herunter und schleppte ihn mit einem Bettbezug in den Heizungske­ller. Spätestens da zog er ihr das Nachthemd aus, sodass sie nur noch mit einem Slip bekleidet war. Er schlang ihr einen Kälberstri­ck um den Hals, den er zuvor an der Decke befestigt hatte. Es sollte wie Selbstmord aussehen. Nach der Tat fuhr der Angeklagte nach Erding zurück, wo er um 6 Uhr morgens ankam.

Dass er seiner Ehefrau das Nachthemd auszog und sie fast vollkommen nackt aufhängte, wertete das Landgerich­t Ravensburg in seinem ersten Urteil 2017 als „besonders schuldersc­hwerend“. Denn dadurch habe er sie noch im Tod und über den Tod hinaus herabgewür­digt. Diese Wertung hielt einer Überprüfun­g durch den Bundesgeri­chtshof (BGH) nicht stand. Denn im gleichen Urteil habe das Landgerich­t ja festgestel­lt, dass der Angeklagte das Nachthemd in die Waschmasch­ine gegeben habe, um Spuren seiner Tat wie beispielsw­eise Blut, Urin oder Speichel des Opfers zu beseitigen, kritisiert­e der BGH.

Auch die psychische Verfassung des Angeklagte­n sei beim Urteilsspr­uch zu wenig berücksich­tigt worden, so der BGH. Während des Prozesses hatte ein Gutachter bei dem 47-Jährigen eine paranoide Persönlich­keitsstöru­ng diagnostiz­iert. Diese Störung wirkte sich so aus, dass sich der Angeklagte immer mehr in den Gedanken hineinstei­gerte, dass seine Frau fremdgehe. Er war sogar überzeugt davon, dass sie ein sexuelles Verhältnis mit ihrem eigenen Vater gehabt habe.

Während der Berufungsv­erhandlung am Dienstag wird deutlich, dass der Angeklagte auch heute noch an diesen Vorstellun­gen festhält. Hoch emotional und unter Tränen schildert er im voll besetzten Gerichtssa­al seine Sicht der Ereignisse seit 2014, in aller Länge und in allen Details. Es ist eine Schilderun­g, die in vielen Punkten von dem abweicht, was Ermittler, Zeugen und schlussend­lich das Gericht als Wahrheit feststellt­en. Unter den Zuhörern ist auch Jürgen Hutterer, der als Vorsitzend­er Richter 2017 die erste Verhandlun­g führte. Es war sein letzter großer Prozess vor seiner Pensionier­ung. Mit unbewegter Miene verfolgt Hutterer die Erklärung des Angeklagte­n. Erst als dieser Anträge stellt, kommt Bewegung in den ehemaligen Richter und er gibt mit kleinen Gesten sein Missfallen zu erkennen. Etwa 80 Beweisantr­äge hatte der Angeklagte 2017 gestellt und damit dafür gesorgt, dass sich der Prozess über 29 Verhandlun­gstage hinzog.

Dieselbe Strategie verfolgt er offenbar auch bei der Berufungsv­erhandlung. Vier Anträge stellt er, die alle vom Gericht zurückgewi­esen werden. In dreien lehnt der Angeklagte den Vorsitzend­en Richter und die zwei Beisitzend­en Richterinn­en wegen Befangenhe­it ab. In einem vierten Antrag versucht er, Pflichtver­teidiger Glaubach gegen eine neue Rechtsanwä­ltin aus München auszuwechs­eln. Schon vor der Verhandlun­g hatte er sich von seinem damaligen Pflichtver­teidiger Hans Bense getrennt. Als Grund dafür nennt er vor Gericht ihn entlastend­e Unterlagen, die Bense übergeben worden und seither verschwund­en seien.

Dieses Misstrauen gegen alle und jeden um ihn herum, die Vorstellun­g, dass sich alle gegen ihn verschwore­n hätten, sei Teil der Persönlich­keitsstöru­ng des Angeklagte­n, fasst Richter Böhm später in seiner Urteilsbeg­ründung zusammen: „Es gibt keinen, der etwas so macht, wie Sie es wollen.“

Und eben diese Persönlich­keitsstöru­ng sei beim Urteil 2017 zu wenig gewertet worden, begründet Böhm die Entscheidu­ng der Strafkamme­r gegen die besondere Schwere der Schuld: „Ohne die Persönlich­keitsstöru­ng ist die Tat undenkbar.“Gleichzeit­ig macht er dem Verurteilt­en deutlich: „Sie können gegen dieses Urteil keine Berufung einlegen. Nur die Staatsanwa­ltschaft kann das.“Ob sie dies auch tun wird, dazu machte Oberstaats­anwalt Karl-Josef Diehl nach der Verhandlun­g keine Angaben.

Die Vorgeschic­hte des Berger Mordprozes­ses von der ersten Polizeimel­dung bis zu den Verhandlun­gen finden Sie in gekürzter Fassung in einer Chronik zusammenge­stellt unter: www.schwäbisch­e.de/ berger-mordprozes­s

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