Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Männer lügen häufiger als Frauen
Jüngere sind laut einer Studie auch unehrlicher als Ältere
BERLIN (KNA) - Lügen haben kurze Beine. Wenn dieser Kindheitsspruch stimmen würde, liefen fast alle auf Stummelbeinen durch die Welt. Denn Menschen lügen nach Schätzung von Wissenschaftlern bis zu 200-mal am Tag – aus Höflichkeit, aus Diplomatie oder weil sie sich Vorteile verschaffen wollen. Andererseits zeigen Debatten über „Fake News“, Steuerflucht oder Korruptionsskandale, wie wichtig Ehrlichkeit für eine funktionierende Gesellschaft ist.
Wissenschaftler weltweit erforschen deshalb in vielen experimentellen Studien, welche persönlichen und umweltbedingten Faktoren Menschen zu Lügnern machen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und des „Technion – Israel Institute of Technology“haben eine umfangreiche Metaanalyse zum Lügen veröffentlicht, die Erkenntnisse aus 565 Studien mit mehr als 44 000 Probanden zusammenfasst. Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass die Tendenz zu Unehrlichkeit von Alter und Geschlecht abhängt. Aber auch Persönlichkeit und Umweltfaktoren spielen eine Rolle.
Qual der Wahl
Der Grundkonflikt jeder Lüge ist eine Wahl: Entweder ist man ehrlich und verzichtet auf Vorteile. Oder man lügt, um beispielsweise an mehr Geld, Macht oder Ruhm zu gelangen. Getestet wird das Verhalten in solchen Grundkonflikten oft in einfachen Experimenten – beispielsweise in Form des Münzwurf-Spiels: Dabei werfen Probanden eine Münze, ohne dass sie jemand dabei beobachtet. Bei Kopf bekommen sie Geld, bei Zahl gehen sie leer aus. Führt man diesen Versuch öfter und mit vielen Probanden durch, müsste das Verhältnis von Kopf zu Zahl insgesamt fünfzig zu fünfzig betragen. Doch zeigen fast alle Studien, dass Probanden öfter Kopf als Zahl nennen. Das heißt: Mindestens einige Probanden lügen, um mehr Geld zu „verdienen“.
„Obwohl es zahlreiche Studien gibt, die untersuchen, wer, wann und warum lügt, sind die Ergebnisse nicht eindeutig, teilweise sogar widersprüchlich. Mithilfe der großen Datenmenge aus allen Studien können wir nun zu einigen Faktoren eindeutigere Aussagen treffen“, sagt Philipp Gerlach, Assoziierter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Erstautor der Studie.
Insgesamt haben bei den untersuchten Experimenten 42 Prozent aller Männer und 38 Prozent aller Frauen gelogen. Die Vermutung, dass Männer häufiger lügen als Frauen, konnte die Studie damit bestätigen – auch wenn der Unterschied nur gering ist. Außerdem haben jüngere Personen häufiger gelogen als ältere.
Dabei sank die Wahrscheinlichkeit, dass jemand lügt, mit jedem Jahr um 0,28 Prozentpunkte. Während sie bei einer 20-jährigen Person bei etwa 47 Prozent liegt, liegt sie bei einer 60jährigen Person nur noch bei 36 Prozent. Andere, immer wieder diskutierte Faktoren konnte die Studie nicht bestätigen. So finden die Wissenschaftler zum Beispiel keinen Hinweis darauf, dass Wirtschaftsstudierende besonders häufig lügen.
In anderen Studien ging es nicht um Zufallsexperimente, sondern um Unehrlichkeit mit Blick auf eigene Fertigkeiten – etwa, ob ein mathematisches Rätsel richtig gelöst wurde. Die Forscher konnten zeigen, dass solche Unterschiede im Versuchsaufbau das Verhalten der Probanden beeinflussen und somit zu unterschiedlichen Ergebnissen über die Unehrlichkeit führen. Dies deutet nach Auffassung der Wissenschaftler daraufhin, dass „Unehrlichkeit nicht einfach nur die Eigenschaft einer Person ist, sondern systematisch mit den Bedingungen der Umwelt zusammenspielt“, sagt Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs „Adaptive Rationalität“am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.