Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Weniger exzellente Jungmusike­r vom Land

Begabtenfö­rderung in Städten ausgeprägt­er als in ländlichen Gebieten, kritisiere­n Experten

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Kein anderes Land bringt jährlich so viele Preisträge­r beim Bundeswett­bewerb „Jugend musiziert“hervor wie Baden-Württember­g. Doch immer weniger begabte Jungmusike­r kommen aus dem ländlichen Raum. Das zeigen aktuelle Zahlen, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegen. Experten sprechen von „Bildungsun­gerechtigk­eit“bei der Förderung junger Talente in ländlichen Gebieten – und fordern vom Land mehr Anstrengun­gen.

Jungmusike­r aus Baden-Württember­g brillieren regelmäßig bei „Jugend musiziert“– auch 2018 kam ein Viertel aller Preisträge­r aus dem Südwesten. Bevor sie am Bundeswett­bewerb teilnehmen dürfen, müssen sich die Jugendlich­en bei Regionalwe­ttbewerben und beim Landeswett­bewerb beweisen. Auf Anfrage des Wangener CDU-Abgeordnet­en Raimund Haser erklärt Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne), dass die Teilnehmer­zahlen an den 23 Regionalwe­ttbewerben seit sechs Jahren sinken.

Die Regionalwe­ttbewerbe sind nach Instrument­en in drei Kategorien aufgeteilt. In jeder Kategorie messen sich die Musiker alle drei Jahre. Die Teilnehmer­zahlen haben – mit einer einzigen Ausnahme – zwischen 2000 und 2012 in jeder Kategorie kontinuier­lich zugenommen, danach gehen die Zahlen massiv zurück. Beispiel: 4000 Jugendlich­e spielten bei den Regionalwe­ttbewerben im Jahr 2000 unter anderem mit ihrem Blasoder Zupfinstru­ment vor. 2012 waren es 5300, im vergangene­n Jahr knapp 4600. Dabei gibt es laut Ministeriu­m ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Bauer spricht von einer stabilen Teilnehmer­zahl aus dem städtische­n Bereich, doch die Teilnahme von Jungmusike­rn vom Land sei „in den letzten Jahren spürbar zurückgega­ngen“.

Landesmusi­krat will G 9 zurück

Der Landesmusi­krat, der den Wettbewerb auf Landeseben­e ausrichtet, sieht im achtjährig­en Gymnasium einen Grund für den Rückgang. Präsident Hermann Wilske, der als Honorarpro­fessor an der Musikhochs­chule Trossingen tätig ist, spricht von einem „industriel­len Verwertung­sprozess“der Jugendlich­en. Seine Forderung: Rückkehr zu G 9. Zudem sollten dringend mehr als die aktuell drei Prozent der Schüler berufliche­r Gymnasien Musikunter­richt haben. „Das finde ich skandalös, die gehen uns verloren“, beklagt Wilske. Klaus Weigele, Direktor der Landesakad­emie für die musizieren­de Jugend in Ochsenhaus­en, pflichtet Wilske bei. „Eine rückläufig­e Teilnehmer­zahl ist ein Zusammensp­iel mehrerer Faktoren“, sagt Weigele. „Einer ist sicher die Verdichtun­g des schulische­n Lebens und damit der Wegfall von Freizeit.“

Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) will das nicht gelten lassen. „Das achtjährig­e Gymnasium hat aus unserer Sicht der musikalisc­hen Begeisteru­ng und Vielfalt keinen Abbruch geleistet.“Zumal die Teilnehmer­zahlen dann schon seit der Einführung von G 8 im Jahr 2004 hätten zurückgehe­n müssen. Auch Heinrich Korthöber vom Landesverb­and der Musikschul­en bezweifelt die G-8Theorie, denn „das trifft ja auch den städtische­n Raum“.

Landesakad­emie-Direktor Weigele sieht ein anderes Problem für talentiert­e Jugendlich­e auf dem Land: „Die Fördermögl­ichkeiten sind nicht so gut wie die in den Städten.“Als Beispiel nennt er Stuttgart: Dort hat ein Gymnasium eine Kooperatio­n mit der Musikschul­e und der Musikhochs­chule vor Ort. „Das ist eine andere Ausgangssi­tuation als die für Schüler in Wangen oder Leutkirch“, so Weigele. „Die haben die Exzellenzf­örderung einfach nicht vor Ort.“Der CDU-Abgeordnet­e Haser pocht darauf, dass Begabtenfö­rderung auch auf dem Land möglich sein muss, etwa durch Kooperatio­nen. „Die Lösung darf nicht heißen: Wenn du exzellente Musik machen willst, musst du nach Stuttgart oder Karlsruhe. Die Kinder sollen an ihrem Wohnort exzellent Musik machen können.“

Konzept scheitert am Geld

Dafür hat die Ochsenhaus­ener Akademie gemeinsam mit der Musikhochs­chule Trossingen im Auftrag des Regierungs­präsidiums Tübingen ein Konzept namens Comes erarbeitet, wie Weigele erklärt. Die Kernpunkte: Für jeden begabten Jungmusike­r wird ein Jahresplan erstellt. Der Lehrer an der örtlichen Musikschul­e arbeitet mit dem Schüler an dem Plan – in Zusammenar­beit mit Hochschull­ehrern aus Trossingen oder mit Dozenten aus Ochsenhaus­en. Zudem kommt der Schüler zu Workshops mit den Hochschull­ehrern übers Wochenende in die Landesakad­emie nach Ochsenhaus­en.

Vor eineinhalb Jahren hat Weigele das Konzept im Kultusmini­sterium vorgestell­t – realisiert wurde es aus Kostengrün­den nicht, erklärt eine Sprecherin von Kultusmini­sterin Eisenmann. „Jedoch wird sich das Kultusmini­sterium dafür einsetzen, dass der Landeszusc­huss für die Akademie in Ochsenhaus­en von derzeit 816 200 Euro ab dem Jahr 2020 auf 900 000 Euro jährlich erhöht werden soll“, sagt die Sprecherin.

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FOTO: DPA In den vergangene­n Jahren sind bei „Jugend musiziert“die Teilnehmer­zahlen in allen Kategorien zurückgega­ngen.

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