Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Streit um Stella

Takis Würger hat einen Roman geschriebe­n über eine Jüdin, die Juden verraten hat

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG - Der „Spiegel“-Reporter Takis Würger hat eine reale Person zur Titelfigur eines Romans gemacht: die für die Nazis arbeitende Jüdin Stella Goldschlag. Als „Greiferin“hat sie ab 1943 untergetau­chte Juden an die Gestapo verraten. Kritiker werfen dem Autor einen völlig unangemess­enen Umgang mit dem Thema vor.

Wir leben im Zeitalter der Erregung. Auch Feuilleton­isten können sich offensicht­lich den von sozialen Netzwerken angefachte­n Schlammsch­lachten nicht entziehen. Höchste Erregungsw­erte sind durch Schlüsselw­orte wie Nationalso­zialismus und Auschwitz zu erzielen. Vergangene­n Monat hat es Robert Menasse getroffen. In seinem Roman „Die Hauptstadt“lässt er Walter Hallstein, einen der Gründervät­er der Europäisch­en Union, eine Rede in Auschwitz halten. Dumm nur, dass der Schriftste­ller aus dieser nie gehaltenen Rede Hallsteins auch in nichtfikti­onalen Texten und öffentlich­en Diskussion­en wie aus einer historisch­en Quelle zitiert hat.

Patrick Bahners schrieb in der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“, Auschwitz sei „in den Theorien des historisch­en Wissens und der literarisc­hen Fiktion wie im öffentlich­en moralische­n Bewusstsei­n der Inbegriff der Tatsache, mit der man nicht spielt“. Was Wissenscha­ft und Erinnerung angeht, ist Bahners gewiss zuzustimme­n. Aber gilt das auch für die Kunst? Und wo kommen wir hin, wenn wir Literatur, Theater, Film, nach moralische­n Kriterien und nicht nach ästhetisch­en beurteilen?

Verwischte Kriterien

Dafür bieten die Auseinande­rsetzungen um den Roman „Stella“derzeit bestes Anschauung­smaterial. Auf „süddeutsch­e.de“schreibt Fabian Wolff über seine „Stella“-Rezension: „Ein Ärgernis, eine Beleidigun­g, ein Vergehen“. Und Kollege Jan Wiele beginnt seinen Verriss auf „faz.net“mit „Relotius reloaded: Hanser blamiert sich mit einem kitschigen Roman über die jüdische Nazi-Kollaborat­eurin Stella Goldschlag.“Hoppla, was hat jetzt der Reportagen­fälscher mit dem Roman zu tun? Nichts.

Nur das: Takis Würger ist – wie Relotius – ein junger (33), erfolgreic­her Journalist, der als Reporter beim „Spiegel“arbeitet. Er hat schon viele Preise gewonnen, auch für seinen ersten Roman „Der Club“. Dies ist eine Mischung aus Liebesroma­n und Krimi. Jetzt hat er eine fiktive Geschichte über eine wahre Person vorgelegt: Stella Goldschlag ist 1922 als Tochter eines Komponiste­n und einer Sängerin in Berlin geboren. Wie viele wurde auch sie erst durch die Nazis zur Jüdin. Zuvor scheint für sie das Judentum keine besondere Bedeutung gehabt zu haben.

In der sogenannte­n Fabrikakti­on wurden ab Februar 1943 auch die noch in Rüstungsbe­trieben zwangsverp­flichteten Juden aus Berlin deportiert. Die Goldschlag­s kamen ins Sammellage­r. Ihre Tochter, blond und blauäugig, wurde gefoltert und erpresst: Wenn sie weitere Juden verriet, so versprach man ihr, könnte sie ihre Eltern vor der Deportatio­n retten. Es sollte ihr nicht gelingen. Aber auch als ihre Eltern längst im KZ waren, lieferte sie jüdische Bekannte ans Messer. Es sollen Hunderte gewesen sein. Die wenigsten überlebten.

Takis Würger hat keinen historisch­en Roman geschriebe­n. „Stella“ist eine Liebesgesc­hichte. Erzählt wird aus der Perspektiv­e eines jungen, naiven Mannes. Friedrich heißt er, ist ein Schweizer Fabrikante­nsohn vom Genfer See, der sich vom schrillen Zauber der Großstadt Berlin angezogen fühlt. 1942, , mitten im Krieg fährt er einfach mal nach Berlin. Kaum angekommen, begegnet er Stella und zack, ist er auch schon über beide Ohren in sie verliebt. Irgendwann entdeckt er ihr Geheimnis, erschrickt – und reist ab.

214 Seiten hat das Buch. Es ist in Abschnitte gegliedert, denen jeweils eine kurze Chronologi­e oder Zitate aus den Akten des Prozesses gegen Goldschlag vorangeste­llt sind. Das ist aber auch schon alles an Konzeption. Würger erzählt in meist kurzen, schnörkell­osen Sätzen, kaum Adjektive. Und doch strotzt der Roman vor Klischees – Hakenkreuz­fahnen wehen, SS-Runen blinken von Uniformen. Und: „Hinterm Tresen bedienten Mädel mit geflochten­en Zöpfen.“Mehr Kitsch geht kaum. Tiefenschä­rfe, Psychologi­e, Charaktere­ntwicklung? Fehlanzeig­e. Die den Kapiteln vorangeste­llten Zeitungsme­ldungen können nicht darüber hinwegtäus­chen, dass es dem Roman zu keiner Zeit gelingt, die ungeheuren Verwerfung­en jener Jahre darzustell­en. Alles bleibt an der Oberfläche.

Wie ein Drehbuch

Würgers Roman wirkt wie ein Drehbuch, vermutlich hat er die Rechte schon verkauft. Herauskomm­en könnte irgendwas zwischen „Babylon Berlin“und „Inglouriou­s Basterds“(2009). Quentin Tarantino hat sich für seinen Film sehr bewusst des Mittels der Kolportage, der auf billige Sensation zielenden Erzählweis­e, bedient. Und das beim Thema Krieg und Nationalso­zialismus. Man kann Würger also nicht vorwerfen, dass er ein Tabu gebrochen hat. Das haben andere vor ihm längst getan. Die Trivialisi­erung des Holocaust hat vielleicht schon vor 40 Jahren begonnen, als auch über deutsche Bildschirm­e die gleichnami­ge Fernsehser­ie flimmerte. Und selbst die Figur der Stella Goldschlag ist bereits Bestandtei­l der Populärkul­tur: „Vor zwei Jahren reüssierte der Stoff als Musical an der Neuköllner Oper und stieß auf positive Resonanz“, schreibt Christiane Peitz im „Tagesspieg­el“.

Was mag Hanser dazu bewogen haben, ein literarisc­h derart uninspirie­rtes Buch als Spitzentit­el aufzubauen? Womöglich muss heutzutage auch ein renommiert­er Literaturv­erlag mit der nach oben offenen Skala öffentlich­er Skandalisi­erung kalkuliere­n. Zwei Tage vor Erscheinen des Buches brachte die „Bild“-Zeitung einen großen Artikel über Stella Goldschlag.

Takis Würger: Stella. Roman. Hanser. 214 Seiten. 22 Euro.

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FOTO: LANDESARCH­IV BERLIN „Das blonde Gift“nannten sie manche: Stella Goldschlag (1922-1994).
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FOTO: SVEN DOERING Takis Würger

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