Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kurze Jagd – oder auf sie mit Gebrüll?
Wieso – und für wen – der erste Rückrundenspieltag schon vorentscheidend sein könnte
MÜNCHEN - Und ab geht die wilde Fahrt! Waren die Bayern zum Ende der Hinrunde dem überlegenen BVB noch auf der Pirsch, beginnt nun die Jagd auf den um sechs Punkten entfernten Herbstmeister so richtig. Das letzte Mal, als die Münchner zur Rückrunde einem Rückstand hinterherspielen mussten, wurden sie am Ende Dritter. 2010/2011 war das, den Titel holte der BVB. Schon am ersten Spieltag der Rückrunde könnte sich nun eine Tendenz aufzeigen. Die Bayern eröffnen das Bundesliga-Jahr 2019 am Freitag (20.30 Uhr, ZDF und Eurosport) bei der TSG Hoffenheim, die Dortmunder treten am Samstag bei RB Leipzig an. Zeit, dass sich was dreht?
Die Partie in Sinsheim ist für die Bayern in jedem Fall ein Knackpunktspiel, eines mit weitreichenden Folgen für die gesamte Rückrunde. Eine Pleite zum Auftakt des Kalenderjahres darf man sich nicht leisten, mit einem Erfolg erhöht man sofort den Druck auf Dortmund. Sechs Punkte „sind nicht die Welt, sowas ist immer aufholbar“, findet Bundestrainer Joachim Löw. Vor allem wenn man, wie die Münchner, gleich das direkte Gipfeltreffen gegen den BVB am 6. April in der Allianz Arena vorschnell gedanklich für sich verbucht. Macht nur drei Punkte Abstand – und macht's machbarer. Gedanklich. „Natürlich haben die Bayern die Qualität, Meister zu werden“, sagt Löw, „sie werden sich auf die Fahne geschrieben haben, voll anzugreifen.“Für Trainer Niko Kovac wäre es der erste Meistertitel, über den aus seiner Sicht „erst am Saisonende“entschieden wird. Dann zeige sich, wer die „besseren Nerven“hat. Für Kovac, in der Hinrunde zwischenzeitlich schon kurz vor der Entlassung, wäre es ein Meilenstein.
Thomas Müller will „Woche für Woche die Punkte vom Dortmunder Polster abknabbern“. Er sagt: „Dortmund muss wissen, dass wir da sein werden, wenn sie schwächeln sollten.“Sein Traum: Die Meisterschaft am 34. Spieltag, weil es „ein komplett anderes Gefühl“(Müller) wäre als in den letzten sechs Dominanz-Jahren mit frühzeitigen Zieldurchläufen samt oft Megavorsprüngen. „Es gibt keinen hier, der nicht davon überzeugt ist, dass wir Meister werden“, sagt der Ex-Hoffenheimer Verteidiger Niklas Süle, „sechs Punkte sind nicht die Welt.“Gegen die TSG fehlen den Münchnern Corentin Tolisso, im Aufbautraining nach Kreuzbandriss, sowie die Flügel-Oldies Franck Ribéry (35) und Arjen Robben (34), deren Comeback für Februar zu erwarten ist. Die alten Helden gehen in ihre letzte Rückrunde, womöglich als Joker für besondere Momente. Auf der rechten Außenbahn ist derzeit Serge Gnabry (23) gesetzt, links Kingsley Coman (22) – die Zukunft hat längst begonnen.
Auch dank des WinterpausenTransfers Alphonso Davies. Der 18jährige Kanadier soll eine Alternative auf den Außenbahnen werden, eine vielversprechende. Zudem will Sportdirektor Hasan Salihamidzic unbedingt Talent Callum HudsonOdoi, auch 18, vom FC Chelsea verpflichten. Am Donnerstag hieß es, die Londoner hätten auch das zweite, auf rund 40 Millionen Euro Ablöse erhöhte Angebot der Bayern abgelehnt. Ein Pokerspiel, das den Münchnern im angekündigten Jahr ihres Kaderumbruchs nun öfter droht.
Hummels kämpft um Zukunft
Zur Gegenwart: Müller beginnt am Freitag, seinen Platz hinter der Spitze hätte James Rodríguez gerne. Der Leihspieler von Real Madrid muss mehr zeigen als in der Hinrunde, um sich zu behaupten und zu beweisen, dass er die auf 42 Millionen Euro fixierte Ablöse für den Sommer wert ist. Trainer Kovac korrigierte im letzten Drittel der Hinserie seinen Kurs, schaffte die Rotation ab, setzte auf eine fixe Startelf mit Doppel-Sechs und ordnete die Hierarchie neu: Torjäger Robert Lewandowski ist nun dritter Kapitän hinter Torhüter Manuel Neuer und Müller. In der Innenverteidigung scheinen sich Jérôme Boateng, im August fast zu Paris St.Germain transferiert, und Süle als Tandem ihren Platz gesichert haben. Für Mats Hummels, dem nachgesagt wird, nicht das beste Verhältnis zu Trainer Kovac zu haben, könnte trotz eines Vertrages bis 2021 die letzte Halbserie seiner Bayern-Zeit anbrechen.
Vieles ist in Bewegung dieser Tage an der Säbener Straße. Bringt die Kader-Unruhe auch Energie und den nötigen Schwung für die Aufholjagd?
Keinem ist es öfter gelungen als dem FC Bayern, aus einem Rückstand nach der Hinrunde doch noch das Überholmanöver zum Titel zu schaffen, genau siebenmal. Und der BVB so? Pah! Wir haben die bessere Statistik: Immer, wenn sie als Herbstmeister überwinterten, holten sie am Saisonende die Schale. Erstmals 1994/95 sowie im darauffolgenden Jahr (jeweils unter Trainer Ottmar Hitzfeld) plus – wie oben erwähnt – 2010/2011 unter Jürgen Klopp. Das waren noch Zeiten!