Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ganz ohne Palaver
Bodenständig, weniger Schwalben und doch hart – Handball ist der bessere Fußball
BERLIN - Spektakuläre Flugeinlagen bei der kleinsten Berührung, ständiges Reklamieren beim Schiedsrichter, Taktik- und Zeitspiel oder einfach das vollkommen abgehobene Auftreten der Profis neben dem Platz: Solche Dinge sind beim Handball undenkbar. Die Heim-WM beweist dieser Tage eindeutig: Was das angeht, ist Handball der bessere Fußball. Ein paar Gründe:
Härte ist erwünscht:
Ständig Hände und Arme im Gesicht, ausgeleierte und zerschlissene Trikots, permanenter Körperkontakt: Beim Handball geht es am Kreis mächtig zur Sache – und auch auf die Knochen. „Was so ein Kreisläufer abbekommt, ist schon heftig – was da gerangelt wird. Beim Fußball sind es höchsten zehn Prozent von dem, was man da einstecken muss“, staunte dieser Tage etwa Torsten Mattuschka, als Mittelfeldspieler von Union Berlin und Energie Cottbus einst selbst kein Kind von Traurigkeit. Das gefällt nicht nur den Zuschauern in der Halle und am Fernseher, sondern auch den Akteuren selbst: „Das Schöne ist, dass man in der Abwehr richtig austeilen kann, aber vor allem auch einstecken muss“, verdeutlicht Deutschlands Abwehrkante Patrick Wiencek: „Wenn man da eine gute Aktion hat, dann beflügelt das.“
Fairness steht an erster Stelle:
Schon im Nachwuchs wird neben dem richtigen Fallen und Abrollen auf Anstand geachtet: sich nach einem Foul zu entschuldigen, dem Gegner wieder auf die Beine helfen, im Gegenzug nach einer Atacke nicht ewig liegenbleiben – Grundtugenden im Handball. „Es geht immer auch um die Werte, wie man mit solchen Situationen umgeht, auch wenn es im Jugendbereich ja fast keine Fouls gibt“, verrät der Sportliche Leiter der HBW Balingen Weilstätten, Julian Thomann. Die Profis sind da Vorbilder, sie diskutieren auf der Platte beinahe nie ausufernd, weder untereinander noch mit dem Schiedsrichter. „Was mir am besten gefällt: dass einfach deutlich weniger palavert wird als im Fußball, außerhalb wie auf dem Feld. Das ist eine schöne Sache“, sagte Hoffenheims Fußballtrainer Julian Nagelsmann jüngst anerkennend: „Man versucht zu spielen und nicht so viel zu labern, das würde uns auf dem Fußballfeld auch gut zu Gesicht stehen.“
Schnell und variantenreich:
Ständig geht es hin und her, die Führung wechselt, es fallen viele Tore: Beim Handball ist permanent Feuer drin. Auch taktisch gibt es unzählige Varianten – egal ob offensiv oder defensiv. Und wenn eine Partie dennoch einmal einseitig ist, verwaltet der Führende nicht nur, mit Trickwürfen und ausgefallenen Spielzügen ist Unterhaltung garantiert.
Auch am TV mittendrin:
Als Zuschauer ist man am Fernseher mittendrin. Nicht nur während des Spiels, sondern auch in den Auszeiten. Die Taktikanweisungen von Christian Prokop während der Pause sind ebenfalls unterhaltsam, wenn auch oft rätselhaft: „Mit Mut zur Hand!“, sagt der Bundestrainer zum Beispiel. Doch ist das kein verwirrtes Gerede oder gebrochenes Deutsch, sondern schlicht ein Code. Und bedeutet: Linkshänder sollen links am Gegner vorbeiziehen, Rechtshänder rechts.
Bodenständige Akteure und echte Typen:
Protzfotos mit dicken Goldketten und Autos sowie ein Frisör, der extra eingeflogen wird? Nicht bei den Handballern (sieht man mal vom Faible des DHB-Vizes Bob Hanning für teure wie mutige DesignerPullover ab): „Wir sind eher bodenständige Typen. Das liegt schon daran, dass wir weitaus weniger verdienen“, sagte Torhüter Silvio Heinevetter jüngst scherzhaft. Im Kern trifft die Aussage. Die Gehälter sind längst nicht so ausufernd. Dennoch können Typen wie 110-Kilo-Brecher „BammBamm“Wiencek, Kapitän Uwe Gensheimer oder Martin Strobel WM-Euphorie entfachen. „Die Jungs begeistern“, weiß Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar.
Hoffentlich auch mal abseits der großen Turniere.