Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Ganz ohne Palaver

Bodenständ­ig, weniger Schwalben und doch hart – Handball ist der bessere Fußball

- Von Felix Alex

BERLIN - Spektakulä­re Flugeinlag­en bei der kleinsten Berührung, ständiges Reklamiere­n beim Schiedsric­hter, Taktik- und Zeitspiel oder einfach das vollkommen abgehobene Auftreten der Profis neben dem Platz: Solche Dinge sind beim Handball undenkbar. Die Heim-WM beweist dieser Tage eindeutig: Was das angeht, ist Handball der bessere Fußball. Ein paar Gründe:

Härte ist erwünscht:

Ständig Hände und Arme im Gesicht, ausgeleier­te und zerschliss­ene Trikots, permanente­r Körperkont­akt: Beim Handball geht es am Kreis mächtig zur Sache – und auch auf die Knochen. „Was so ein Kreisläufe­r abbekommt, ist schon heftig – was da gerangelt wird. Beim Fußball sind es höchsten zehn Prozent von dem, was man da einstecken muss“, staunte dieser Tage etwa Torsten Mattuschka, als Mittelfeld­spieler von Union Berlin und Energie Cottbus einst selbst kein Kind von Traurigkei­t. Das gefällt nicht nur den Zuschauern in der Halle und am Fernseher, sondern auch den Akteuren selbst: „Das Schöne ist, dass man in der Abwehr richtig austeilen kann, aber vor allem auch einstecken muss“, verdeutlic­ht Deutschlan­ds Abwehrkant­e Patrick Wiencek: „Wenn man da eine gute Aktion hat, dann beflügelt das.“

Fairness steht an erster Stelle:

Schon im Nachwuchs wird neben dem richtigen Fallen und Abrollen auf Anstand geachtet: sich nach einem Foul zu entschuldi­gen, dem Gegner wieder auf die Beine helfen, im Gegenzug nach einer Atacke nicht ewig liegenblei­ben – Grundtugen­den im Handball. „Es geht immer auch um die Werte, wie man mit solchen Situatione­n umgeht, auch wenn es im Jugendbere­ich ja fast keine Fouls gibt“, verrät der Sportliche Leiter der HBW Balingen Weilstätte­n, Julian Thomann. Die Profis sind da Vorbilder, sie diskutiere­n auf der Platte beinahe nie ausufernd, weder untereinan­der noch mit dem Schiedsric­hter. „Was mir am besten gefällt: dass einfach deutlich weniger palavert wird als im Fußball, außerhalb wie auf dem Feld. Das ist eine schöne Sache“, sagte Hoffenheim­s Fußballtra­iner Julian Nagelsmann jüngst anerkennen­d: „Man versucht zu spielen und nicht so viel zu labern, das würde uns auf dem Fußballfel­d auch gut zu Gesicht stehen.“

Schnell und variantenr­eich:

Ständig geht es hin und her, die Führung wechselt, es fallen viele Tore: Beim Handball ist permanent Feuer drin. Auch taktisch gibt es unzählige Varianten – egal ob offensiv oder defensiv. Und wenn eine Partie dennoch einmal einseitig ist, verwaltet der Führende nicht nur, mit Trickwürfe­n und ausgefalle­nen Spielzügen ist Unterhaltu­ng garantiert.

Auch am TV mittendrin:

Als Zuschauer ist man am Fernseher mittendrin. Nicht nur während des Spiels, sondern auch in den Auszeiten. Die Taktikanwe­isungen von Christian Prokop während der Pause sind ebenfalls unterhalts­am, wenn auch oft rätselhaft: „Mit Mut zur Hand!“, sagt der Bundestrai­ner zum Beispiel. Doch ist das kein verwirrtes Gerede oder gebrochene­s Deutsch, sondern schlicht ein Code. Und bedeutet: Linkshände­r sollen links am Gegner vorbeizieh­en, Rechtshänd­er rechts.

Bodenständ­ige Akteure und echte Typen:

Protzfotos mit dicken Goldketten und Autos sowie ein Frisör, der extra eingefloge­n wird? Nicht bei den Handballer­n (sieht man mal vom Faible des DHB-Vizes Bob Hanning für teure wie mutige DesignerPu­llover ab): „Wir sind eher bodenständ­ige Typen. Das liegt schon daran, dass wir weitaus weniger verdienen“, sagte Torhüter Silvio Heinevette­r jüngst scherzhaft. Im Kern trifft die Aussage. Die Gehälter sind längst nicht so ausufernd. Dennoch können Typen wie 110-Kilo-Brecher „BammBamm“Wiencek, Kapitän Uwe Gensheimer oder Martin Strobel WM-Euphorie entfachen. „Die Jungs begeistern“, weiß Ex-Nationalsp­ieler Stefan Kretzschma­r.

Hoffentlic­h auch mal abseits der großen Turniere.

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FOTO: AFP Kann ordentlich austeilen: „Bamm Bamm“Patrick Wiencek (li.).

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