Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ewige Vierte war gestern
Selina Jörg aus Sonthofen wird mit 31 Jahren erstmals Snowboard-Weltmeisterin
PARK CITY (dpa/SID) - Im Ziel konnte Snowboarderin Selina Jörg ihren größten Erfolg zunächst nicht fassen, mit WM-Gold um den Hals flossen dann bei der Nationalhymne die Freudentränen. „Weltmeisterin… das ist der Wahnsinn!“, sagte die Allgäuerin nach ihrem Coup im Parallel-Riesenslalom vom Montagabend. „Aber Weltmeisterin, das hört sich auf jeden Fall gut an“, ergänzte die 31-Jährige nach einem famosen Wettkampf beim Saisonhöhepunkt im Schneetreiben von Park City (USA).
Mit dem Gold-Triumph und der Bronzemedaille durch Stefan Baumeister zusätzlich zum dritten Rang im Cross-Teamevent bringen es die Deutschen auf drei Podestplätze. Das Medaillenziel war schon vor dem Parallel-Slalom am Dienstagabend erreicht, bei dem Ramona Hofmeister und Stefan Baumeister jeweils mit Bronze aber noch mal einen draufsetzten. Jörg schied nach einem Fehler und einem Sturz im Viertelfinale aus. „Das war wirklich ein großartiger Tag“, sagte Sportdirektor Andreas Scheid, nachdem Snowboard Germany zuletzt bei zwei Weltmeisterschaften leer ausgegangen war.
Nur ein paar Schuhe
Vor allem Selina Jörg erlebte in den USA ein Happy End nach einer herausfordernden Karriere. Die Athletin vom SC Sonthofen hatte vor 14 Jahren im Weltcup debütiert und war dann neben Amelie Kober, Anke Karstens (inzwischen Wöhrer) und Isabella Laböck die Nummer vier einer starken deutschen Raceboard-Generation. Während aber ihre Teamkolleginnen bei Großveranstaltungen Medaillen gewannen, schien über Jörg lange ein WM- und Olympia-Fluch zu hängen.
„Alle Mädels von der alten Crew hatten ihre Medaillen“, erzählte Jörg kürzlich. „Ich war immer die mit den vierten Plätzen. Das hat ordentlich gewurmt. Mir hat was gefehlt.“Dann aber kamen die Winterspiele in Pyeongchang und endlich Silber für die Sportsoldatin. Vor Hofmeister holte sie Silber, geschlagen nur von der Tschechin Ester Ledecka.
Ans Aufhören dachte sie in all den Jahren nicht, auch wenn sich der Sport finanziell nicht auszahlt und sie mit nur einem – selbst bezahlten – Paar Snowboardschuhen durch den Winter muss. Ihr Freund hatte ihr ein Regal gebaut, an dem die Olympia-Medaille hängt, und das sie jeden Tag aufs Neue motivierte. „Mit der WM habe ich noch eine Rechnung offen“, sagte sie. 2015 wurde sie am Kreischberg in Österreich Vierte, das wollte sie so nicht in ihrer Vita stehen lassen.
Und das muss sie auch nicht, in Park City war sie – begünstigt auch durch das Fehlen von Ledecka – eine Klasse für sich. Schon in der Qualifikation fuhr sie allen auf und davon, in den vier K.o.-Runden durfte sie sich deswegen bis ins Finale den etwas besseren, weniger demolierten blauen Kurs aussuchen. Im Endlauf siegte sie nach einem Fehler der Russin Natalia Sobolewa klar. Dabei lagen ihr die Bedingungen Perfekte Hanglage: Selina Jörg in Park City.
eher nicht. „Der obere Teil ist eigentlich zu steil für mich, dann der Neuschnee, die schlechte Piste, all das mag ich überhaupt nicht.“Bremsen ließ sich die Sonthofenerin aber nicht. „Im Moment stimmt bei ihr einfach alles“, meinte Sportchef Scheid, „die Erfahrung, das Selbstbewusstsein und dazu noch die Bestätigung.“
Es war der erste deutsche Titel seit jenem von Isabella Laböck 2013 in Stoneham/Kanada. Damals war Jörg noch im Achtelfinale gescheitert, die Siegerehrung verfolgte sie als Zuschauerin – nun wurden Erinnerungen wach: „Ich musste ein paar Mal an die Bella denken, wie ich mich mit ihr gefreut habe. Jetzt selber da oben zu stehen und zu wissen, für mich ganz alleine wird die Hymne gespielt – da sind mir echt die Tränen gekommen.“
Ladecka hatte sich dafür entschieden, bei der alpinen Ski-WM zu starten, wo sie am Dienstag im Super-G 27. wurde – auch den hatte sie in Südkorea ja sensationell gewonnen. Wird der Sieg durch das Fehlen der Dominatorin geschmälert? „Nein, für mich gar nicht“, sagte Selina Jörg und fügte verschmitzt an: „Wir haben ja noch ein paar Duelle in diesem Jahr.“Dann jedoch ist Ledecka die Herausforderin der neuen „Königin“aus Sonthofen.