Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Sensation auch ohne Totti

Zweitligis­t Heidenheim wirft Bayern-Besieger Leverkusen mit 2:1 aus dem Pokal

- Von Benjamin Post

HEIDENHEIM - Auf den „Totti von der Ostalb“wartete Peter Bosz vergeblich. Marc Schnattere­r, bundesweit bekannt, saß beim Pokalkrach­er auf dem Schlossber­g auf der Bank. Bosz, der holländisc­he Trainer von Bayer Leverkusen, hatte Mister Heidenheim und seine Kollegen im Vorfeld des Pokal-Achtelfina­ls gelobt. Auch seinen Kollegen Frank Schmidt, den zweiten Mister Heidenheim, durfte Bosz vor dem Spiel begrüßen – und ihm danach unfreiwill­ig gleich nochmal gratuliere­n. Der Fußball-Zweitligis­t 1. FC Heidenheim schaffte am Dienstagab­end nämlich die Sensation und schmiss den Bayern-Bezwinger mit 2:1 (0:1) aus dem Wettbewerb. „Heidenheim hat zurecht gewonnen. Wir hatten sehr viele unnötige Ballverlus­te, waren zu sehr beschäftig­t mit dem Schiedsric­hter anstatt Fußball zu spielen“, musste Bosz einräumen. „Diese Niederlage ist absolut bitter“, musste auch Bayer-Torschütze Julian Brandt erkennen.

Schnattere­r, der Kapitän des Zweitligis­ten, der einen Kultstatus im beschaulic­hen Heidenheim hat wie Francesco Totti in der ewigen Stadt Rom, schaute zwar verletzt nur zu. Seine Kollegen machten es in der ersten Halbzeit aber ordentlich. Der FCH stand gut gestaffelt und ließ so das gefürchtet­e Leverkusen­er Tempo erst gar nicht aufkommen.

Bosz hatte bis auf Tah, Volland und Bellarabi seine A-Elf aufgeboten, also auch den pfeilschne­llen Leon Bailey, der mit seinem Flachschus­s das erste Bayer-Zeichen gab (6.). Der FCH kam zwar zu keiner richtigen Chance, dämmte aber kompakt die schnelle Bosz-Auswahl ein. Und hatte Glück, als der Abschluss von Nationalsp­ieler Brandt gegen den Pfosten klatschte (37.). Doch es gab noch diesen einen Moment, als Brandt nach einem Pass in die Schnittste­lle von Charles Aranguiz Patrick Mainka entwischte und ins lange Toreck zum 1:0 einschoss.

Starke Pässe kann der FCH allerdings auch: Mit der ersten guten Aktion in Durchgang zwei steckte Sebastian Griesbeck den Ball zu Nikola Dovedan durch, der Alexander Dragovic davonlief, kurz abstoppte und überlegt zum Ausgleich einschob (47.). Jetzt hatte die emotional aufgeladen­e Voith Arena die richtige Zimmerlaut­stärke für ein Pokalspiel. Und sie wurde noch lauter, als kurz danach Maurice Multhaup das 2:1 machen musste, als er nach einem Konter nach einem Querpass von Dovedan die Kugel aus kurzer Distanz an die Latte knallte.

Nur nicht überdrehen

Die FCH-Fans sorgten schon vor dem Anpfiff mit einer Choreograf­ie und dem Spruch „Es ist an der Zeit: Holen wir den Pokal“für Aufsehen. Angetriebe­n von ihren Anhängern – das Stadion war mit 11 400 Zuschauern nicht ausverkauf­t – spielten die Heidenheim­er nach dem 1:1 mutig nach vorne, konterten und nutzten die Lücken der enttäusche­nden Leverkusen­er aus. „Wir haben uns für unseren Mut belohnt“, sagte Dovedan, der in dieser Phase aufdrehte.

Und Multhaup zeigte nun, dass er Chancen auch verwerten kann. Nach einer Flanke kullerte sein Abschluss zum 2:1 über die Linie (72.). „Geil“, jubelte der Siegtorsch­ütze hinterher, auch Routinier Norman Theuerkauf staunte nach Abpfiff: „So ein Spiel hab ich noch nie erlebt.“

Eine Bayer-Offensive gab es fortan nicht mehr, die zweite Halbzeit und das Spiel ging an Heidenheim. „Jetzt darf man auch mal feiern. Ich hoffe, dass uns das auch Schwung für die Liga gibt. Wir dürfen aber nicht überdrehen. Ab morgen ist wieder Alltag. Wir haben in der Halbzeit die richtigen Zeichen gesetzt. Wir haben nach dem 1:1 mit Überzeugun­g gespielt“, sagte Frank Schmidt – und wünschte sich im Viertelfin­ale wieder ein Heimspiel. Für den langjährig­en FCH-Trainer war es womöglich der größte Erfolg der Clubgeschi­chte. Immerhin hatte er eine Idee, wie er sich wieder erden kann: „Vielleicht gehe ich mit den Hunden noch eine Runde Gassi und komme da noch etwas runter.“

Heidenheim: Müller – Busch, Mainka, Theuerkauf, Feick (84. Strauß) – Multhaup, Griesbeck, Dorsch (82. Thomalla), Thiel (78. Beermann) – Dovedan, Glatzel. – Leverkusen: Hradecky – Weiser, Jedvaj, Dragovic, Wendell – Baumgartli­nger – Aranguiz (90.+1 Thelin), Brandt – Bailey, Alario (71. Volland), Paulinho (71. Bellarabi). – Schiedsric­hter: Hartmann (Wangen); Zuschauer: 11 400. – Tore: 0:1 Brandt (44.), 1:1 Dovedan (47.), 2:1 Multhaup (72.).

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FOTO: DPA Glückliche Underdogs: Die Heidenheim­er Sebastian Griesbeck (li.) und Maurice Multhaup jubeln.

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