Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Narren wehren sich gegen Anfeindungen
Gemüter beruhigen sich nach Narrentreffen in Wilhelmsdorf nur langsam – Brief an Gemeinderat
WILHELMSDORF - Das Narrentreffen zum 33. Geburtstag der Narrenzunft Wilhelmsdorf Anfang Februar sorgt im Ort immer noch für Diskussionen. Die Stimmung schwankt zwischen großer Begeisterung und totaler Ablehnung. Leserbriefe werden geschrieben, auch in den sozialen Netzwerken ist das Thema präsent. Ein Gerücht besagt, es seien Unterschriftenlisten gegen die Veranstaltung mit rund 2000 Narren und geschätzt 2500 Besuchern angedacht gewesen. Zwei kritische Briefe landeten bei den Gemeinderäten und der Verwaltung.
Die aus der Geschichte heraus durch die Brüdergemeinde geprägte Ortschaft Wilhelmsdorf hat in Teilen der Bevölkerung ihre Probleme mit dem Narrentreiben, vor allem, wenn es im Angesicht des Betsaals über die Bühne ging, wie in diesem Jahr. Schon das Aufhängen bunter Narrenbändel führte zu Diskussionen. Dagegen sollten im Vorfeld der Veranstaltung Unterschriften gesammelt werden, hörte der Wilhelmsdorfer Pfarrer Ernest Ahlfeld. Dies kam aber nicht zustande, zumindest wurde sie nicht öffentlich bekannt, sollte es die Liste gegeben haben. Auch im Nachgang zu der Veranstaltung tauchte das Gerücht an Stammtischen über eine Sammelaktion für Unterschriften auf. Viele hörten davon, sowohl bei der Verwaltung, der Kirchengemeinde als auch bei den Narren selbst. Doch gesehen wurde die Liste nicht. Auf jeden Fall ist Pfarrer Ahlfeld sicher, dass eine solche Aktion nicht aus der Brüdergemeinde heraus angeleiert wurde. „Ob es eine andere kritische Gruppierung gibt, die hier aktiv werden wollte, entzieht sich meiner Kenntnis“, sagte Ahlfeld auf Nachfrage.
Greifbar hingegen sind Äußerungen von Manuel Tex, der sich in einem Brief an die Gemeinderäte negativ über das Narrentreffen äußerte. In dem Brief wird der Gemeinderat aufgefordert, wichtige Zeichen zu setzen „in einer egozentrischen, oberflächlichen und gottlosen Gesellschaft“sowie für tiefere und sinnvolle Werte einzutreten und diese zu fördern.
Der Veranstalter des Umzugs, der Narrenverein Wilhelmsdorf, wehrt sich gegen den Vorwurf von Ausschweifungen und Delikten im Zusammenhang mit dem Ereignis. „Wir konnten an diesem Wochenende Wilhelmsdorf als freundlichen und weltoffenen Ort präsentieren. Die negativen Aussagen zum Treffen in der Folge sind einfach nicht haltbar“, erklären Zunftmeister Tobias Lutz, Schriftführer Alexander Joklitschke sowie die beiden Häswarte Astrid Seifried von den Wikingern und Nina Lutz von den Waldweible. Von den Kritikern habe sich kein einziger direkt bei der Führung der Narren gemeldet. Viele Aussagen würden einfach nicht stimmen, die Wirklichkeit sehe anders aus.
Astrid Seifried meint, dass es im Miteinander im Dorf doch wichtig sei, Toleranz zu üben. Wilhelmsdorf sei so vielfältig. Da müsse doch auch für das Weltkulturerbe Fastnacht ein Platz sein. Wenn Kritiker Tex den 140 Mitglieder zählenden Verein auf „eine Handvoll Narren“reduziere, entspreche dies nicht der Wahrheit. Das gefeierte Jubiläum zeige 33 Jahre aktive Vereinsarbeit und keine „Demonstration“. Vielmehr beweise die Zahl der Umzugsteilnehmer und Zuschauer, dass diese das Jubiläum sehr gerne mitgefeiert haben, auch „ohne Tradition“.
Narren sind das Jahr über präsent
Die Vertreter der Zunft betonen, dass die Narren das ganze Jahr über im Ort präsent seien. Das zeige die regelmäßige Beteiligung am Weihnachtsmarkt und am Jahresfest. Nicht zuletzt wird jedes Jahr aus der Vereinskasse eine Spende an örtliche Einrichtungen verteilt. So floss Geld in der Vergangenheit unter anderem an die Jungschar der Kirchengemeinde, den Waldkindergarten oder das Kinderheim St. Johann. In diesem Jahr soll die Spende an das Hoffmannhaus gehen. Zusammenfassend heißt es von den Narren: „Wir wollen hier keinen Kleinkrieg. Wir wollen als Narrenverein einfach akzeptiert werden.“
Auch der Wilhelmsdorfer Medienpfarrer Heiko Bräuning macht sich für Toleranz stark: Bräuning verantwortet die Sendung „Stunde des Höchsten“bei Bibel TV und ist Radio-7Pfarrer. „Als Kind war ich bei jedem Kinderfasching dabei. Verkleidet als Cowboy oder Zauberer“, erinnert er sich. Erst viel später habe er mitbekommen, woher Kinderfasching kommt: „Es war ursprünglich das ,Fest der unschuldigen Kinder', ein Fest der Kirche zur Erinnerung an den Herodianischen Kindermord in Bethlehem. Man verkleidete im Spiel Kinder, damit sie von Herodes nicht entdeckt werden konnten. Später wurde das ,Narrentreiben’ von der Kirche wieder verboten.“
„Diese kirchlichen Wurzeln finde ich sehr interessant“, so Heiko Bräuning. Die fünfte Jahreszeit diene dazu, die Zeit vor der vierzigtägigen Fastenzeit ausgelassen zu feiern. Sie sei Vorbereitung auf das Osterfest. „Für mich eröffnen diese historischen Wurzeln eine andere Perspektive auf die in der evangelischen Kirche und besonders im Pietismus verhärteten Fronten zur Fasnet“, so Bräuning. „Ich selbst stehe dafür, dass sich Kirche einmischt und nicht außen vor bleibt. Wir sollten mittendrin sein und können als Kirche unsere eigene Vergangenheit neu entdecken. Warum laden wir beim närrischen Treiben nicht ein zu einem fröhlichen Gottesdienst – so machen es die katholischen Geschwister.“
Närrisches Treiben wird verkürzt
Im kommenden Jahr wird das Fastnachtstreiben im Ort Wilhelmsdorf auf einen Tag verkürzt. Dann dürften 25 bis 30 Narren- und Musikgruppen über die Zußdorfer Straße in Richtung Feuerwehrhaus ziehen. 2020 feiern die Waldweible ihren 22. Geburtstag. Eigentlich auch wieder ein närrisches Datum.