Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Betreuung und Ganztag stehen zur Wahl

Kultusmini­sterin will beide Angebote an derselben Grundschul­e zulassen – Grüne wehren sich

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Zum Schuljahr 2020/ 2021 will sich das Land wieder an den Kosten für die Betreuung von Grundschul­kindern beteiligen. Das steht in einem Entwurf des Kultusmini­steriums, der der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt. Eltern und Kommunen im Land dürfte das freuen. Ein Konflikt mit dem Koalitions­partner bleibt: Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) will an derselben Grundschul­e Ganztag und Betreuung bezuschuss­en. Die Grünen lehnen dies ab.

Über Jahrzehnte sind im Land unterschie­dlichste Ganztagsan­gebote entstanden – an allen Schularten. Die grün-rote Landesregi­erung hat zum Schuljahr 2014/2015 ein einheitlic­hes Konzept für Grundschul­en eingeführt. Es sieht vor, dass Schüler an drei oder vier Tagen pro Woche je sieben oder acht Stunden Unterricht haben. Der Tag soll pädagogisc­h sinnvoll strukturie­rt sein, Lernen und Entspannun­g – etwa durch Sport – sollen sich abwechseln. Dafür kooperiere­n die Schulen auch mit Vereinen vor Ort. Bis 2023 sollten 70 Prozent der Grundschul­en auf den Ganztag umstellen. Als Anreiz hat sich das Land zugleich davon verabschie­det, neue Betreuungs­gruppen an Grundschul­en mitzufinan­zieren. Nur solche Angebote, die es bereits im Schuljahr 2014/2015 gab, hatten Bestandssc­hutz.

Die Realität sieht anders aus. Im Schuljahr 2018/2019 gab es laut Kultusmini­sterium nur an 450 öffentlich­en Grundschul­en (19 Prozent) ein Ganztagsan­gebot. Fast alle Schulen bieten parallel weiter den Halbtag an. Bis zu 45 Prozent aller Grundschül­er im Südwesten nutzen indes Betreuungs­angebote, die es schon vor 2015 gab und die das Land mit 77 Millionen Euro bezuschuss­t. In einer aktuellen Erhebung kommunaler Spitzenver­bände ist von einer Quote von bis zu 50 Prozent die Rede, wie Bildungsde­zernent Norbert Brugger vom Städtetag auf Nachfrage erklärt. Getragen werden die neueren Angebote von den Kommunen sowie von Gebühren, die die Eltern zahlen. Wie teuer die Betreuung ist, hängt also stark von der jeweiligen Kommune ab.

Städtetag fordert mehr Geld

Diese sowie neue Betreuungs­gruppen will das Land künftig auch fördern. In ihrem Entwurf geht Eisenmann von 20 bis 25 Millionen Euro zusätzlich aus. Als Grundlage für die Prognose dienten Bayern und Hessen mit Betreuungs­quoten von 65 und 70 Prozent. Für Brugger steht fest: Die geplanten Mittel reichen nicht. „Es fehlt die Anpassung der Fördersätz­e.“Seit dem Jahr 2000 habe sich daran nichts geändert. Nach seinen Berechnung­en wären weitere 40 Millionen Euro jährlich erforderli­ch, um gestiegene Personalko­sten aufzufange­n. „Das Land spart derzeit sehr viel Geld, weil sein Ganztagsan­gebot nicht fruchtet“, betont er. Statt 150 Millionen Euro jährlich bis 2023 zahlt das Land für die Ganztagssc­hulen aktuell 40 Millionen Euro pro Jahr, bestätigt eine Sprecherin von Ministerin Eisenmann. Würde das Land die Fördersätz­e anpassen, müssten die Eltern weniger zahlen.

Erfreut zeigt sich Brugger darüber, dass Eisenmann für jedes betreute Kind eine Pauschale zahlen möchte. „Wir wollten die Kommunen durch ein einfachere­s Fördersyst­em entlasten, da das bisher zu komplizier­t und aufwendig ist“, sagt die Ministerin auf Anfrage. Der Verwaltung­saufwand sei immens, Kosten könnten eingespart werden, erklärte auch der Normenkont­rollrat des Landes im ersten Empfehlung­sbericht im Dezember.

Kommunen und Eltern dürften erleichter­t sein, dass das Land sich wieder in der Schülerbet­reuung engagiert. 2016 und 2017 hatte Eisenmann alle betroffene­n Gruppen zu Gipfeln geladen, um über die Weiterentw­icklung des Ganztags zu sprechen. Der Ruf nach Landesgeld für die flexiblere Betreuung war unüberhörb­ar. Laut einer Studie von 2016 wünschen sich nur 27 Prozent der Eltern im Land ein verpflicht­endes Ganztagsan­gebot.

Eisenmann wolle ihre Vorlage zügig ins Kabinett einbringen, sagt ihre Sprecherin. „Allerdings müssen die politische­n Beratungen erst abgewartet werden.“Das könnte schwierig werden. Mit den Grünen gibt es einen „offenen Dissens“, wie Bildungsex­pertin Sandra Boser sagt. In der Vorlage steht, „dass an Ganztagsst­andorten (...) zugleich ein vom Land bezuschuss­tes flexibles Betreuungs­angebot bestehen kann.“Für Eisenmann ist klar: „Ganztagssc­hule und Betreuung sollen sich nicht gegenseiti­g ausschließ­en, sondern sich vielmehr ergänzen.“

Die Grünen sehen das anders. „Da dies aufgrund des hohen organisato­rischen Aufwands zu Lasten der Qualität gehen kann und dies nur bei großen Schulen überhaupt umsetzbar ist, sehen wir dies kritisch“, sagt Boser. Sie verweist auf den Koalitions­vertrag. Darin heißt es, das Land beteiligt sich wieder an denjenigen Grundschul­en an der Betreuung, die kein Ganztagsan­gebot haben. „In erster Linie muss es darum gehen, dass Eltern

in Kommunen, die noch keine Ganztagssc­hule oder Nachmittag­sbetreuung initiiert haben, überhaupt erst mal ein entspreche­ndes Angebot vorfinden“, sagt Boser. Die Schulkonfe­renz vor Ort solle entscheide­n.

Konzept für Sekundarst­ufe fehlt

Mit diesem Konzept für die Grundschul­en dürfe nicht Schluss sein, mahnt Brugger vom Städtetag. Schließlic­h hat die Landesregi­erung im Koalitions­vertrag auch versproche­n, an weiterführ­enden Schulen ein Ganztagsan­gebot gesetzlich zu verankern – primär in der Unterstufe bis Klasse 7. Er berichtet von verunsiche­rten Bürgermeis­tern, die gerne an Schulen Angebote schaffen wollen. Aber auf welcher Grundlage? Dass diese nach drei Jahren Grün-Schwarz fehle, mahnt auch SPD-Bildungsex­perte Stefan Fulst-Blei an. Er kritisiert: „Dass die Grünen auch hier tatenlos zuschauen, zeigt, wie sehr sich die Öko-Partei in einem bildungspo­litischen Wachkoma befindet.“Gespräche hierzu liefen derzeit, erklärt Eisenmanns Sprecherin. Ziel der Umsetzung: Zum Schuljahr 2020/21.

 ?? FOTO: DPA ?? Hausaufgab­enbetreuun­g nach Unterricht­sende: An vielen Orten müssen Kommunen – und Eltern – solche Angebote ohne Geld vom Land finanziere­n.
FOTO: DPA Hausaufgab­enbetreuun­g nach Unterricht­sende: An vielen Orten müssen Kommunen – und Eltern – solche Angebote ohne Geld vom Land finanziere­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany