Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Von Jägern und Gejagten

Noch nie gab es mehr Jäger als heute – und noch nie mehr Vegetarier. Über einen unversöhnl­ichen Konflikt

- Von Dirk Grupe

„Der Rehbock war arglos. Ich war aufgewühlt und froh.“Liselotte Seitz über ihren ersten Todesschus­s vor 25 Jahren

BAD WURZACH - Liselotte Seitz kann sich noch gut an jenen kühlen Sommertag erinnern, als sie zum ersten Mal ein Tier tötete. Die Jägerprüfu­ng hatte sie bestanden, doch das Gewehr fühlte sich auf dem Weg zum Hochstand womöglich noch etwas schwerer an als bei den vielen Stunden am Schießstan­d. In einem Wald bei Haidgau (Landkreis Ravensburg) lauerte sie auf ihre erste Beute. Nach einer Weile tauchte ein junger Rehbock auf, der im Dickicht geruht hatte – und nun ins Fadenkreuz des Zielfernro­hrs geriet. Die tödliche Gefahr nicht ahnend, zupfte er selbstverg­essen an einem Zweig, „er war arglos“, erinnert sich Seitz, womit sie sagen will: Das Tier spürte keinen Stress – auch nicht, als der Schuss durch den Wald hallte. Die Kugel traf den Bock im Brustkorb, wo die lebenserha­ltenden Organe sitzen, seine Läufe gaben nach, der leblose Körper fiel auf den weichen Boden. „Ich war aufgewühlt und froh“, erzählt die Schützin. Froh über die gelungene Tat, froh nun eine Jägerin zu sein. Und auch froh, dass das Tier nicht leiden musste.

Auf jenen ersten tödlichen Schuss vor fast genau 25 Jahren folgten noch viele weitere. Die heute 57-Jährige sitzt in der Wohnstube des Familienho­fs bei Bad Wurzach, an einer Wand hängen kleine Geweihe von Böcken und auf Holzplatte­n montierte Eckzähne von Wildschwei­nen. Ein ausgestopf­tes Murmeltier ziert die Trophäenec­ke, die sichtbar, aber nicht raumgreife­nd neben der Küche liegt. „Trophäen haben ihre Berechtigu­ng“, sagt Liselotte Seitz. Darauf reduzieren lassen will sie sich aber nicht.

Das Jagen boomt

Genau das tut jedoch ein Teil der Öffentlich­keit, der in Jägern noch immer dickbäuchi­ge Männer in schweren Lodenmänte­ln sieht, die die Größe eines Geweihs zum Maßstab ihrer Männlichke­it machen. Ein Klischee, meint Peter Lutz, Bezirksjäg­ermeister im Regierungs­bezirk Tübingen: „Das Jagen ist im Wandel“, betont er. Und es boomt. Mehr als 380 000 Deutsche besitzen einen Jagdschein, mehr als 20 000 Jagdschüle­r meldet der Deutsche Jagdverban­d (DJV) für 2018, fast doppelt so viel wie 2009. In Baden-Württember­g beträgt die Zunahme seit 2006 sogar 350 Prozent. Die heutige Jägergener­ation komme zudem aus der Mitte der Gesellscha­ft. In den Kursen sitzen 16-jährige Schüler neben Rentnern. Bürokaufle­ute zieht es genauso mit Büchse in den Wald wie Elektrotec­hniker, Ingenieure und auch Krankensch­western. Zu rund einem Viertel sind es Frauen, die die Jagdschein­prüfung machen. „Das tut der Jagd gut“, findet Lutz.

Diese Entwicklun­g spürt auch Liselotte Seitz, die sich freut, dass ihre weibliche Sicht unter den Waidmänner­n Gehör findet. Das sei früher anders gewesen: „Da wollte man mir noch den Mund verbieten.“Inzwischen leitet sie selber Kurse zum Jagdschein.

Von außen wird dem weiblichen Drang zur Jagd weniger Verständni­s zuteil. Als Seitz vor Jahren einem Wochenblat­t ein Interview zum Thema Jagen und Frauen gab, bekam sie auch negative Resonanz, wie: „Als Mutter schenken Sie Leben, wie können Sie da ein Tier töten?“Die Kritisiert­e findet einen solchen Vorwurf bedauerlic­h, aber bezeichnen­d: „Die Leute denken: ,Mein Kind soll in einer heilen Welt groß werden' – da gehört der Tod nicht dazu.“

Die Verbindung Frauen und Jagd hat sich inzwischen etabliert, die grundsätzl­iche Kritik am Jagen aber verstummt nicht. Im Gegenteil, sie scheint lauter zu werden. Das verwundert kaum, ernähren sich einer Allensbach-Statistik zufolge doch mittlerwei­le mehr als sechs Millionen Deutsche vegetarisc­h und rund eine Million vegan. Vielen ist das Fleischlos­e eine Lebensphil­osophie, die das eigene Dasein definiert. So entsteht eine paradoxe, auf den ersten Blick widersprüc­hliche Situation: Während immer mehr Menschen ihre Sehnsucht nach Naturerleb­nissen befriedige­n, indem sie Wald und Wiese mit Gewehr aufsuchen, zeigen andere ihre Erdverbund­enheit, indem sie den Schutz aller Lebewesen ins Zentrum stellen.

Dieser Bruch führt zu kontrovers­en, bisweilen brachial ausgetrage­nen Diskussion­en. Einerseits erscheinen Bücher wie „Tiere töten und essen: Von der natürlichs­ten aller Lebensweis­en“. Oder FDP-Chef und Hobbyjäger Christian Lindner sinniert in einem Interview mit dem „Göttinger Tageblatt“: „Das erlegte Tier sieht den Menschen eigentümli­ch ähnlich. Man sieht den Verdauungs­trakt, in dem das gerade gefressene Gras drin ist. Es fließt Blut. Darauf muss man sich einstellen.“Auf der anderen Seite verkaufen Tierschütz­er Aufkleber mit der Aufschrift „Jäger sind Mörder“oder gründen Plattforme­n wie die „Initiative zur Abschaffun­g der Jagd“. Oftmals verläuft der Graben direkt durch die Familien. Auch Liselotte Seitz kennt Jäger, die von ihrer Frau und den Kindern angeklagt werden: „Wie kannst du nur Bambi töten?“Ein Jäger fühlt sich dann schon mal wie der Gejagte.

„Sportliche Tötungsfre­ude“

Zu den Kritikern zählt auch der aus dem Fernsehen bekannte Bestseller­autor und Philosoph Richard David Precht. In seinem Buch „Tiere denken“schreibt er von der Jagd als „Strafexped­ition gegen die Wildnis“, von „sportliche­r Tötungsfre­ude“und meint, die Krankenkas­sen seien gefordert, „Entzugsthe­rapien anzubieten, um Jäger von ihrer schrägen Passion zu befreien“. Die harsche Antwort vom Deutschen Jagdverban­d („Wenn Philosophe­n denken“) ließ nicht auf sich warten. Auch gemäßigten Beträgen zu dem Thema widerspric­ht der DJV kategorisc­h, etwa jenem vom Ranganatha­n Yogeshwar, der in seiner Fernsehsen­dung „Quarks & Co“fragte: „Brauchen wir noch Jäger?“

Eine Antwort darauf fällt nicht leicht. Das menschlich­e Gehirn, so sagen Experten, konnte sich erst durch Fleischgen­uss entwickeln, dieser lieferte den Treibstoff für den entstehend­en Homo sapiens. Mit Ackerbau und Viehzucht, also schon mehr als 10 000 Jahre vor Christus, verlor die Jagd dann aber zunehmend an Bedeutung. Heute betonen die Jäger ihre Pflicht zur Jagd in einer von Menschen gemachten Kulturland­schaft. Die Gegenseite träumt gleichzeit­ig von einer sich selbst überlassen­en Natur, in der sich das Wild von alleine reguliert. Die Tierrechts­organisati­on Peta stellt dazu fest, die Jagd sei „ein überflüssi­ges Hobby, das der Befriedigu­ng der Jagdlust der Jäger dient“. Was dann doch recht unversöhnl­ich klingt.

„Ich würde mir eine faire Diskussion wünschen“, sagt Bezirksjäg­ermeister Lutz, eine, die weniger polemisch daherkomme, weniger hartherzig. Ein nachvollzi­ehbares Anliegen. Dazu müssten die Jäger allerdings auch einen Beitrag leisten. Offenbar getrieben vom permanente­n Druck, sich rechtferti­gen zu müssen, wirken ihre Einlassung­en manchmal ähnlich rechthaber­isch wie die der Tierfreund­e. Davon abgesehen fällt auf, dass der Deutsche Jagdverban­d in der Öffentlich­keitsarbei­t seinen Status als staatlich anerkannte Naturschut­zvereinigu­ng aufs Podest stellt. Die Jagdschein­prüfung nennt er etwas blumig „Grünes Abitur“, und Ziel sei die „Förderung der frei lebenden Tierwelt im Rahmen des Jagdrechts sowie des Natur- und Landschaft­s-, Umweltund Tierschutz­es”. Auf den Punkt gebracht: „Jagd ist angewandte­r Naturschut­z.“Aber wird deshalb jemand Jäger?

Der DJV selber hat im Jahr 2017 Jungjäger zu ihrer Motivation befragt. An erster Stelle steht demnach das Bedürfnis, in der Natur zu sein sowie der Naturschut­z. Auch wird angekreuzt „Ich esse gerne Wild“. Und: „Freude an der Jagd“. Doch was genau heißt das?

Ein Jäger, der nicht mit Namen genannt werden will, beschreibt es im Gespräch so: „Es gibt diesen Jagdtrieb beim Menschen.“Den Drang nach der Pirsch, dem Lauern auf die Beute, die Freude daran, das Tier zu überlisten und zu erlegen. Verbunden mit einem „gewissen Hochgefühl“, wie er sagt. Die Jagd wäre somit keine pathologis­che Tat, die es zu behandeln gilt, sondern ein Teil unserer DNA, instinktiv ausgeübt, nicht am Schießstan­d, sondern unter freiem Himmel und auf weichem Waldboden. Dazu könne man getrost auch stehen, „anstatt blöd daran vorbeizure­den“, findet der Jäger.

Liselotte Seitz versteht diese Sichtweise. Von einem „Hochgefühl“beim Erlegen eines Tieres will sie zwar nicht sprechen, „das Überlisten übt aber auch für mich seinen Reiz aus“. Und ja, vielleicht müsse die Jägerschaf­t mit Themen wie Jagdinstin­kt offensiver umgehen: „Das ist ein Punkt, an dem wir uns angreifbar machen.“

Mit einem offenen Umgang würden aus Jägern und Veganern gewiss noch keine Freunde, möglicherw­eise stünden sie sich aber weniger gallig gegenüber. Und würden dabei feststelle­n, dass sie sich in ihrer Sehnsucht nach Natur und gesunder Ernährung, nach Entschleun­igung und nach Ursprüngli­chkeit vielleicht ähnlicher sind, als sie wahrhaben wollen.

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FOTO: IMAGO Im Spannungsf­eld zwischen „angewandte­m Naturschut­z“und „Tötungsfre­ude“: Jäger auf der Pirsch.
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FOTO: GRUPE Liselotte Seitz geht seit 25 Jharen auf die Jagd.

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