Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Erschreckend ist die Ernsthaftigkeit
„Der verlorene Sohn“: Drama von Joel Edgerton über eine Therapie gegen das Schwulsein
Regisseur Joel Edgerton inszeniert das wahre Schicksal des zwangstherapierten Homosexuellen Gerrard Conley. In der Hauptrolle brilliert Newcomer Lucas Hedges.
In einigen Gegenden der USA ist die sogenannte Reparativtherapie bis heute weit verbreitet. Mit ihren Methoden versprechen selbst ernannte Heiler Homosexuellen, ihre vermeintlich aus einer Sünde heraus entstandenen Neigungen in den Griff zu bekommen. Auch die Eltern des Teenagers Garrard Conley, der über seine Erfahrungen ein Buch schrieb, setzten ihre Hoffnungen auf diese Therapie. In „Boy Erased“schildert er die wenigen Tage seines Aufenthalts in einer therapeutischen Einrichtung für Schwule und Lesben.
Jared Eamons (Lucas Hedges) ist wohlbehütet in der Obhut seiner Eltern Nancy (Nicole Kidman) und Marshall (Russell Crowe) aufgewachsen. Doch je älter er wird, desto mehr fühlt er sich sexuell zu Männern hingezogen. Der Baptistenprediger Marshall kann die Neigungen seines Sohnes nicht akzeptieren und verdonnert ihn zu einer religiösen Reparativtherapie. Im Therapiezentrum angekommen, nimmt ihn der Therapeut Victor Sykes (Joel Edgerton) unter seine Fittiche. Doch anders als seine Mitpatienten beginnt Jared zu rebellieren.
Tatsächlich verzichtet der auch für das Drehbuch verantwortliche Joel Edgerton bewusst auf Extreme. Sein Protagonist hat ja ohnehin nur wenige Tage in einer Einrichtung verbracht, in der es andere mehrere Monate oder sogar Jahre aushalten müssen. Außerdem hat er die besonders radikalen Ausprägungen nur am Rande mitbekommen, wurde also nie selbst das Opfer von Elektroschocks oder dem Beiwohnen der eigenen Beerdigung.
Kurzum: Das Leid fühlt sich aus der Sicht des jederzeit rational denkenden Jared nicht so schlimm an wie aus der eines hilflosen Opfers. Immer wieder hinterfragt er die Methoden, äußert sich kritisch gegenüber Betreuern. Andere haben nicht so viel Glück und unterziehen sich einer langsamen Gehirnwäsche. Zu sehen, wie diese Methoden funktionieren und die Homosexuellen ihre Neigungen selbst immer abstoßender finden, darin steckt die eigentliche Brutalität des Films.
Noch nicht einmal die Betreuer vor Ort lassen sich in die Rolle der klassischen Schurken drängen. Dafür tragen sie ihr Anliegen mit einer solchen Ernsthaftigkeit vor, dass man fast versteht, weshalb so viele Amerikaner auf diese Methoden setzen. Der Film wirkt regelrecht dokumentarisch. Und genau das macht ihn so schockierend. (dpa)
Der verlorene Sohn. Regie: Joel Edgerton. Mit Lucas Hedges, Russell Crowe, Nicole Kidman. USA/ Australien 2018. 115 Minuten. FSK ab 12.