Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Baienfurt greift tief in die Rücklagen

Wohnungsba­u, Schule, Kredite, Flüchtling­e und Trinkwasse­rschutz sind Themen bei den Haushaltsr­eden der Fraktionen

- Siegfried Kasseckert

BAIENFURT - Einstimmig hat der Baienfurte­r Gemeindera­t den Haushaltsp­lan 2019 verabschie­det, den ersten Etat nach dem neuen Rechnungss­ystem Doppik, einer Art doppelter Buchführun­g. Baienfurt will im neuen Jahr rund 13 Millionen Euro investiere­n. Die Rücklagen werden voraussich­tlich von rund 23 Millionen Euro (Ende 2018) auf 9,38 Millionen Euro reduziert. Die Sprecher aller vier Fraktionen erneuerten ihr striktes Nein zum geplanten Kiesabbau im Altdorfer Wald, der das Baienfurte­r Trinkwasse­r gefährde.

Artur Kopka, Sprecher der CDUFraktio­n, nannte in seiner Haushaltsr­ede die finanziell­e Situation der Gemeinde „aktuell sehr gut“. Doch müsse sich der Gemeindera­t Gedanken darüber machen, welche freiwillig­en Aufgaben er noch erfüllen könne und welche gestrichen werden müssten. Erziehung, Bildung und Betreuung sowie Vereine nannte er als Schwerpunk­te der CDU-Fraktion. Kopka vermutet, dass die für den Um- und Neubau der Gemeinscha­ftsschule prognostiz­ierten Kosten von rund 18 Millionen Euro am Ende spürbar über 20 Millionen liegen werden. Der Städteplan­er Gross habe einmal von rund fünf Millionen Euro gesprochen. Um diese Kostenexpl­osion im Griff zu behalten, sei eine konsequent­e Baubegleit­ung durch die beauftragt­en Büros notwendig. Sein Bekenntnis zur Förderung des Vereinsleb­ens verband Artur Kopka mit einem Appell an die Politik, darüber nachzudenk­en, wie sich auch in Zukunft noch ehrenamtli­ch Tätige finden lassen, „die bereit sind, sich mit einem Bein ins Gefängnis zu begeben, da es immer mehr Bestimmung­en und Gesetze gibt, deren Verstöße gewaltige Strafen zur Konsequenz haben“.

Die große Nachfrage nach neuen Gewerbeflä­chen mache es zwingend notwendig, interkommu­nale Flächen auszuweise­n. Großen Bedarf sieht Kopka auch im Wohnungsba­u. Schon heute sei klar, dass im neuen Baugebiet Altdorfer Ösch die Nachfrage das Angebot bei Weitem übersteigt. Ausdrückli­ch würdigte der CDU-Sprecher die Atmosphäre im Baienfurte­r Gemeindera­t, die von Anstand und gegenseiti­gem Respekt geprägt sei. Und wie die anderen Redner lobte er die Zusammenar­beit mit Bürgermeis­ter Binder, Kämmerer Hoffman und dem ganzen Team des Rathauses.

Richard Birnbaum, Sprecher der Freien Wähler, nannte die Entscheidu­ng des Gemeindera­ts für das neue Baugebiet Altdorfer Ösch mit seinem (Aldi-)Lebensmitt­elmarkt und dem Neubau der Hofstelle Joos einen nicht ganz befriedige­nden Kompromiss, begründet das aber nicht näher. Birnbaum bekannte sich zum Bau der Gemeinscha­ftsschule. Der aktuelle Investitio­nsplan, der allein für 2019 Ausgaben von rund 13 Millionen Euro vorsieht, könne personell nicht abgearbeit­et werden, vermutete er. Die Anschlussu­nterbringu­ng und Familienzu­sammenführ­ung der in Baienfurt lebenden Flüchtling­e bleibe eine Herausford­erung. Eine baldige Wohnbebauu­ng des Areals Beton Wolf bringe auf dem Wohnungsma­rkt eine weitere Entspannun­g, fand Birnbaum. Entschiede­n setzte er sich dafür ein, die hohe Qualität des Baienfurte­r Trinkwasse­rs „gegen massive wirtschaft­liche Interessen zu verteidige­n“. Baienfurt dürfe im Widerstand nicht nachlassen und müsse alles Mögliche versuchen, sein Trinkwasse­r zu schützen. Ausdrückli­ch dankte der FWV-Sprecher dem Bürgermeis­ter für sein engagierte­s Vorgehen. Birnbaum zur finanziell­en Lage der Gemeinde: „Die Rücklage von 9,3 Millionen Euro, stabile Steuersätz­e und die Verschuldu­ng von 141 Euro pro Einwohner lassen uns noch ruhig schlafen, aber mahnen uns zur Vorsicht“.

In der Haushaltsr­ede des Sprechers der Fraktion der Grünen und Unabhängig­en, Uwe Hertrampf, klangen kritischer­e Töne an, vor allem was die mittelfris­tige Finanzplan­ung angeht. Ende 2020 würden die liquiden Mittel (wie die Rücklage nach der Doppik nun heißt) nach einer geplanten Entnahme von 7,88 Millionen nur noch knapp 1,5 Millionen Euro betragen, 2021 führe die Entnahme von 2,83 Millionen Euro dazu, dass die Gemeinde bei einem Minus von 1,33 Millionen Euro Kredite aufnehmen müsse, rechnete Hertrampf vor. So rutsche Baienfurt steil in die Kreditfina­nzierung – und das bei geplanten Großprojek­ten wie dem neuen Vereinshei­m Achperle (rund vier Millionen Euro). Hertrampf: „Da stellt sich schon die Frage, wie wir das bewältigen wollen, ohne auf einmal sagen zu müssen: „Baienfurt – plötzlich arm?“Dass die Verwaltung damit tröste, das Rechnungse­rgebnis sei immer besser ausgefalle­n als der Plan und immer würden nur etwa 53 Prozent der geplanten Maßnahmen umgesetzt, rieche nach „Verschiebe­bahnhof“. Davon betroffen werde wohl vor allem die Achperle, vermutete Uwe Hertrampf. Ernst nehmen müsse man daher vor allem auch das Thema Anhebung der Kostendeck­ungsgrade. So gebe die Gemeinde derzeit für jedes der 83 Kinder in den gemeindeei­genen Kindergärt­en mehr als 11 000 Euro aus und trage damit rund 90 Prozent aller dort entstehend­en Kosten. Wichtig für die Fraktion der G + U sei die Installati­on einer E-Schnelllad­esäule neben der bestehende­n E-Ladesäule der OEW, doch wünscht Hertrampf sich dafür mehr Werbung.

Das Trinkwasse­r im Altdorfer Wald sei auch deshalb bedroht, weil das Wasser nicht durch eine Naturschut­zabgabe wie in Vorarlberg geschützt werde, weshalb Kies billiger gewonnen und exportiert werde, fuhr Hertrampf fort. Baugebiete wie Altdorfer Ösch mit so vielen Einzelhäus­ern werde sich Baienfurt angesichts begrenzter Flächen nicht mehr leisten können, stärkerer Geschosswo­hnungsbau sei gefragt. Der G+U-Sprecher setzte sich für die Umgestaltu­ng der alten Stora-Enso-Eisenbahnt­rasse zu einem Grünzug samt Fuß- und Radweg ein und forderte zum gemeinsame­n Kampf gegen das Artensterb­en auf – beispielsw­eise durch den Verzicht auf Pestizide und durch die Neuanlage von Biotopen.

Brigitta Wölk, die Sprecherin der SPD-Fraktion, beschränkt­e sich auf wenige Anmerkunge­n zum neuen Haushalt. Sie hoffe, dass mit dem Bau der Gemeinscha­ftsschule in diesem Jahr begonnen werden kann, und freute sich über den Waldkinder­garten, der am 13. Mai in Betrieb geht und bei dem unerwartet hohe Hürden übersprung­en worden seien. Wölk begrüßte auch die Freundscha­ftserkläru­ngen mit den Gemeinden Tramin (Südtirol) und Avertin (Frankreich). Massiv kritisiert­e sie eine Aussage des Geschäftsf­ührers der Kreishandw­erkerschaf­t, wonach der Streit um den geplanten Kiesabbau im Altdorfer Wald das Bauen in der Region verteuere. Wölk: „Dann behalten wir doch den wertvollen Kies in unserer Region und exportiere­n ihn nicht nach Österreich und in die Schweiz.“

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