Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Richter machen Dieselkäufern Hoffnung
BGH bezeichnet illegale Abgastechnik als Sachmangel – Chancen auf Schadenersatz steigen
KARLSRUHE/BERLIN - Gute Nachrichten für die Besitzer von Dieselfahrzeugen mit manipulierter Software, schlechte Nachrichten für Autohändler und den Konzern VW: Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat sich am Freitag erstmals im Dieselskandal mit einer rechtlichen Einschätzung zu Wort gemeldet und erklärt, dass die illegale Abschalteinrichtung in den Autos als Sachmangel einzustufen sei. Die obersten Zivilrichter stellen klar, dass Händler betroffenen Neuwagenkäufern die Lieferung eines anderen Autos ohne Problem nicht verwehren können, nur weil das Modell nicht mehr hergestellt wird. Der Austausch könne höchstens daran scheitern, dass im einzelnen Fall die Kosten unverhältnismäßig hoch seien.
Bislang handelt es sich nicht um ein Urteil, sondern um einen sogenannten Hinweisbeschluss. Dennoch gehe davon für die unteren Instanzen eine Signalwirkung aus, sagte BGH-Sprecherin Dietlind Weinland: „Es ist zu erwarten, dass sie sich an dieser vorläufigen Rechtsauffassung orientieren werden.“VW teilte mit, der Hinweis des BGH lasse keine Rückschlüsse auf die Erfolgsaussichten von Kundenklagen zu. Erst recht ließen sich daraus keine Folgerungen für die Erfolgsaussichten von Klagen gegen die Volkswagen AG ziehen, sagte ein Konzernsprecher in Wolfsburg. Tatsächlich äußerten sich die Karlsruher Richter nur zu Ansprüchen, die Dieselkäufern gegen den Autohändler entstehen können.
Dennoch glauben Experten und Juristen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass gekaufte Schummel-Diesel zurückgenommen werden müssen oder ein Schadenersatz erfolgt, nun immens gestiegen ist. In den USA haben Kunden schon längst Geld bekommen. Bereits wenige Monate nach dem Aufdecken des Skandals konnten sie zwischen einem Software-Update und bis zu 10 000 Dollar wählen oder ihren Wagen zu dem Preis zurückgeben, den er vor dem Skandal hatte. In Deutschland hingegen konnte sich der Konzern mit einem verpflichtenden Software-Update aus der Affäre ziehen. Außerdem ließen sich viele betrogene Dieselbesitzer auf einen Vergleich ein, weil sie fürchteten, vor Gericht zu scheitern und nichts zu bekommen.
Der ADAC begrüßte die Klarstellungen des BGH: „Damit ist in diesem Punkt endlich Rechtssicherheit geschaffen.“Klaus Müller, Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen (vzbv), betonte, dass die Äußerungen Signalwirkung für die Musterfeststellungsklage von vzbv und ADAC gegen VW hätten. Inzwischen haben sich mehr als 400 000 Autobesitzer angeschlossen. Außerdem sind derzeit nach VW-Angaben bundesweit etwa 50 000 Kundenklagen anhängig, die die Volkswagen AG, eine Konzerngesellschaft oder einen Händler betreffen.