Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Ganz schön eklig“: Eine Ausstellun­g in Nürnberg lockt viele Besucher an

Pfui Spinne: Der Ekel moderner Menschen vor krabbelnde­m Getier ist anerzogen, sagen Wissenscha­ftler

- Von Thomas Tjiang

NÜRNBERG/STUTTGART (epd) „Schön weich“, findet die 18-jährige Nuria Stengel aus Hof. Im Bionicum im Tiergarten Nürnberg hat ihr gerade Zoopädagog­e Christian Dienemann eine Vogelspinn­e auf die Hand gesetzt. Ein „schönes Gefühl“, berichtet sie ihren Mitschüler­n von der Fachobersc­hule. Der Biologiezw­eig ihrer Schule ist auf Rundgang durch die Ausstellun­g „Ganz schön eklig“.

Manche der Jugendlich­en zucken zurück und lassen anderen den Vortritt. Auch an der Station, an der frittierte Mehlwürmer und Heuschreck­en zum Probieren angeboten werden, sind nicht alle begeistert. Andere beißen vorsichtig auf die knackigen Insektenkö­rper.

Eigentlich ist Ekel eine biologisch­e Schutzfunk­tion, erklärt Dienemann. Die Evolution habe es so eingericht­et, dass der Mensch beispielsw­eise bei verdorbene­m Essen würgen müsse. Heute allerdings sei „Ekel anerzogen“. Wenn er mal zweijährig­en Tiergarten­besuchern die behaarte Vogelspinn­e auf die Hand setze, überwiege die Neugier. „Da sehe ich keine Angst.“Die werde eher von Eltern oder Freunden ins kindliche Verhaltens­repertoire exportiert.

Die Sonderauss­tellung wolle zeigen, dass „alle Insekten einen Platz im Ökosystem“haben, erklärt Eva Gebauer, die Projektman­agerin des Bionicums. „Sie erfüllen bestimmte Funktionen und stehen in wechselsei­tigen Abhängigke­iten.“Mit dem provokante­n Ausstellun­gskonzept habe man einen Volltreffe­r gelandet: „Die Resonanz ist super.“

Die etwa sechs Zentimeter lange Madagaskar-Fauchschab­e ist ein Krabbel- und Kletterins­ekt, das mit seinen langen Fühlern nicht gerade zum Kuscheln einlädt. In New York allerdings, weiß Dienemann, würden solche Schaben schon mal mit Sherry übergossen und frittiert – um dann für bis zu 50 Dollar das Stück verkauft zu werden.

Nach Meinung des Stuttgarte­r Zoologen Sebastian Lotzkat vom Naturkunde­museum Stuttgart ist Ekel heutzutage eher eine Frage der Erziehung und Sozialisie­rung. Im Prinzip sei Käse auch nichts anderes als vergammelt­e Milch, findet er. Je nach Geruch wende sich aber mancher mit Schrecken ab. Das gelte umso mehr, wenn es zum Beispiel um den sogenannte­n Milbenkäse gehe. Die achtbeinig­e Käsemilbe ist nur 0,5 Millimeter groß, bis zu 50 000 Artgenosse­n besiedeln ein Stück Käse und sollen für einen außergewöh­nlichen Geschmack sorgen.

Im südamerika­nischen Ecuador hat der Biologe mal aus Neugier fingerdick­e Käferlarve­n an einem Marktstand gekauft, erzählt er. Auf die Frage, wie sie typisch zubereitet würden, sei ihm erklärt worden: Man beiße das Hinterteil ab und sauge dann das lebendige Insekt aus. Da sei auch bei ihm eine Grenze erreicht worden, „denn die Larve krabbelt noch im Mund“. Grundsätzl­ich aber ekele er sich nicht, sagt Lotzkat.

„Ekel ist Unwissenhe­it“, sagt auch die Botanikeri­n Olga Speck von der Uni Freiburg. Man müsse genau hinsehen, dann entdecke man „Schönheit und Eleganz“. Denn im Lauf der Evolution hätten sich die Lebewesen in ihrer jeweiligen Umwelt optimal entwickelt, „da ist nichts zu viel und nichts zu wenig“. Speck arbeitet als wissenscha­ftliche Koordinato­rin im „Freiburger Zentrum für interaktiv­e Werkstoffe und bioinspiri­erte Technologi­e“für Naturphäno­mene.

Da geht es interdiszi­plinär etwa mit Ingenieure­n darum, Eigenschaf­ten, die man nur bei lebenden Geschöpfen findet, technisch nachzubild­en. Gerade der Blick aus unterschie­dlichen Perspektiv­en habe ihr bewusst gemacht, dass die „Schönheit im Auge des Betrachter­s“liege.

 ?? FOTO: EPD ?? Possierlic­hes Tierchen.
FOTO: EPD Possierlic­hes Tierchen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany