Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Pessimistisch trotz Rekordüberschuss
FRANKFURT - Der Staat hat im vergangenen Jahr einen Rekordüberschuss erzielt. Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen haben 58 Milliarden Euro mehr in der Kasse als sie ausgegeben haben. Das meldete das Statistische Bundesamt am Freitag. Damit steigt die Quote gemessen am Bruttoinlandsprodukt auf 1,7 Prozent.
Doch das satte Plus sollte nicht zu falschen Rückschlüssen führen, warnt Friedrich Heinemann, Ökonom des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Denn das sei eine Momentaufnahme ohne Aussagekraft für die Zukunft: „Die Politik und der demografische Wandel werden den Überschuss in den kommenden Jahren in ein kräftiges Defizit verwandeln, wenn nicht gegengesteuert wird.“
Heinemann befürchtet einen Ausgabenwettlauf und beruft sich dabei auf eine alte Erfahrung: „Die größten Fehler in der Finanzpolitik werden in den scheinbar guten Zeiten gemacht. Das erleben wir auch heute wieder.“
Milliardenloch im Haushalt
Vor einigen Wochen hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) gewarnt, die Steuereinnahmen würden nicht mehr so reichlich sprudeln. Er rechnet mit einer Finanzierungslücke von insgesamt knapp 25 Milliarden Euro bis 2023. Dass die Konjunktur sich weiter abschwächt, das zeigte auch der ifo-Geschäftsklimaindex am Freitag. Er sank zum sechsten Mal in Folge auf den mit 98,5 Punkten niedrigsten Wert seit Dezember 2014.
Ökonomen hatten bereits mit einem weiteren Rückgang gerechnet. Deshalb waren die Reaktionen an der Börse verhalten, der Rückgang des Ifo sei nicht stark genug, um die Alarmglocken schrillen zu lassen, aber auch nicht schwach genug, um eine Entspannung zu erzeugen, sagt Andreas Scheuerle, Volkswirt der Dekabank. Die befragten 9000 Unternehmen bewerteten im Februar sowohl ihre aktuelle Geschäftslage als auch die Erwartungen schlechter. Auffällig jedoch war, dass das Geschäftsklima auch im Dienstleistungssektor weiter sank. Das sei beunruhigend, sagt CommerzbankChefvolkswirt Krämer. Denn der Dienstleistungssektor bediene vor allem die Binnennachfrage. Die sei deshalb nicht mehr der „Fels in der Brandung“, der so lange die deutsche Konjunktur gestützt habe.
Die Exporterwartungen sind ohnehin gedämpft. Denn der drohende Brexit, aber auch die Handelskonflikte der USA mit China, verunsichern die Unternehmen. Für Deutschland sei vor allem die sich abzeichnende Schwäche Chinas eine Herausforderung, sagt Krämer. Das Land will zwar gegensteuern, aber die Unsicherheit hält an. Und nicht zuletzt droht US-Präsident Donald Trump, die Zölle auf europäische Autos anzuheben. Das wiederum würde die deutschen Hersteller besonders stark treffen. Krämer wundert sich, dass die EU sich bislang nicht taktisch klüger verhalten habe und ihre Importzölle auf amerikanisches Niveau gesenkt habe. Denn für amerikanische Autoimporte erhebt die EU Einfuhrzölle von zehn Prozent, während die USA auf Pkw aus der EU nur 2,5 Prozent Zoll verlangen.
Grund dafür dürfte die starke Agrarlobby vor allem in den südlichen EU-Ländern sein, vermutet Krämer, die den Agrarmarkt in der EU weiter abschotten wollten. Deutschland aber dürfte von Autozöllen heftiger getroffen werden als die Nachbarländer. Für das erste Quartal ist zwar mit einem leichten Wachstum der deutschen Wirtschaft zu rechnen, vor allem, da die Autoindustrie ihre Produktion wieder hochfährt, nachdem sie in den letzten Monaten viele Schwierigkeiten mit dem neuen Abgasstandard WLTP hatte.
Doch für den weiteren Jahresverlauf sind viele Ökonomen weniger optimistisch. Eine Folge aber dürfte sein, dass die Zinsen in diesem Jahr nicht erhöht werden. Und das hilft dem Staat, der weiter billig Geld aufnehmen kann.