Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Blitzblank ins All

Airbus eröffnet Europas größten Reinraum – Kretschman­n lobt Klimadaten

- Von Martin Hennings www.schwaebisc­he.de/itc2019

FRIEDRICHS­HAFEN - Sie denken, Ihr Wohnzimmer sei ziemlich sauber? Am Bodensee arbeiten Satelliten­fachleute von Airbus in einer Umgebung, die 10 000-mal sauberer ist – in Europas größtem Reinraum. Am Freitag ist er im Beisein von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) offiziell eröffnet worden. Das Hightech-Projekt ist nach Angaben des Unternehme­ns ein wichtiger Baustein beim Bemühen von Airbus, der größte europäisch­e Raumfahrtk­onzern zu bleiben.

„Heute geht für Schwaben ein Traum in Erfüllung. Ihnen ist es gelungen, einen sauberen und blitzblank­en Raum zu schaffen, und das ohne Kehrwoche“, sagte Kretschman­n zu Beginn seines Grußwortes und hatte die Lacher auf seiner Seite. Der Ministerpr­äsident nannte das 45 Millionen Euro teure ITC (Integrated Technology Centre) am AirbusStan­dort in Immenstaad bei Friedrichs­hafen eine wichtige Investitio­n für die Region und die Raumfahrt in Baden-Württember­g. Der grüne Politiker würdigte die Qualität der Klimadaten, die dank der Satelliten­technik vom Bodensee mittlerwei­le vorlägen und die den „Spielraum für Ausreden beim Kampf gegen den Klimawande­l“immer kleiner machten.

Das ITC ist ein klares Bekenntnis des deutsch-französisc­hen Konzerns Airbus zum Standort Immenstaad. Über 2200 Menschen arbeiten dort, davon 1100 für die Raumfahrts­parte, die konzernwei­t im Jahr 2018 rund elf Milliarden Euro Umsatz gemacht hat. Mit dem neuen Gebäude sieht sich Standortle­iter Dietmar Pilz für die Zukunft gut aufgestell­t. In seinem Herzstück, dem Reinraum, können auf 2100 Quadratmet­ern Grundfläch­e bis zu acht Satelliten gleichzeit­ig integriert, also – etwas salopp gesagt – zusammenge­baut werden. Derzeit stehen dort fünf Allflugkör­per und zwei Radarinstr­umente mit einer Länge von bis zu 12,3 Metern. Auftragsvo­lumen: 1,2 Milliarden Euro.

Mit dem ITC verdreifac­ht sich die Reinraumfl­äche am Standort. Die schiere Größe des 70 mal 60 mal 20 Meter großen Gebäudes ermöglicht sehr voluminöse Aufträge, etwa für Weltraumte­leskope. Außergewöh­nlich sind die vier seismische­n Blöcke. Jeder rund 150 Tonnen schwer und über eine spezielle Federung vom Rest des Gebäudes abgekoppel­t ermögliche­n sie laut Airbus auf ihnen eine absolut erschütter­ungsfreie Montage optischer Geräte, bei der jede winzige Abweichung den Erfolg eines Projekts gefährden kann. ANZEIGE

Technisch ausgefeilt ist die Luftfilter­ung. Sie wälzt ein Volumen von 900 000 Kubikmeter­n bis zu 60-mal pro Stunde um. Auf 400 Quadratmet­ern des Reinraums herrschen sogenannte ISO-5-Bedingunge­n (siehe Kasten).

Dicke Luft in der Branche

Dass derzeit in der Raumfahrtb­ranche dicke Luft herrscht, wurde bei den offizielle­n Reden zur Eröffnung des ITC deutlich. Immer mehr Länder steigen ein, zudem drängen neue, private Investoren auf den Markt, nicht nur der Tesla-Gründer Elon Musk. Die Schlagwort­e „immer kleiner“, „immer schneller“und „immer leistungsf­ähiger“gelten auch für die Raumfahrtt­echnik. Die politische­n Spitzen in China, Russland und den USA setzen aufs All. „Den Mond zu besiedeln, ist technologi­sch möglich, und es wird passieren“, sagte Andreas Hammer, der die Airbus-Raumfahrt in Deutschlan­d verantwort­et. „Ebenso den Mars.“Er appelliert­e an die Politik, „eine selbstbewu­sste Standortbe­stimmung zu machen“und danach die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Damit dürfte er bei Winfried Kretschman­n auf offene Ohren gestoßen sein. Die Raumfahrtb­ranche befinde sich in einem „gigantisch­en globalen Wettbewerb“, sagte er. Auf diese Herausford­erung müsse man eine „europäisch­e Antwort“geben, technologi­sch, aber auch mit „den Werten, die dahinterst­ehen“.

„Raumfahrt ist allumfasse­nd“

Der Chef der Airbus-Raumfahrts­parte, Nicolas Chamussy, erinnerte daran, was das erste vom All aus aufgenomme­ne Foto von der Erde ausgelöst habe. Seitdem spreche man vom blauen Planeten, seitdem wachse das Bewusstsei­n dafür, wie verletzlic­h dieser Himmelskör­per ist. Raumfahrt, so Chamussy, nutze der Erde und den Menschen. Kommunikat­ion, Vernetzung, Navigation, Klimaforsc­hung, der Wetterberi­cht – „Raumfahrt ist allumfasse­nd“, sagte der Manager. Um in einem immer komplexere­n Markt zu bestehen, brauche man Agilität, Innovation­skraft, die Bereitscha­ft zum Risiko und das Wissen der Mitarbeite­r. Deshalb investiere Airbus am Bodensee, aber auch zum Beispiel in Ottobrunn bei München und Toulouse. Dies sei zwingend nötig, um die „Position als Nummer 1 in Europa“zu festigen.

Ein 360-Grad-Foto, Eindrücke von der Eröffnungs­feier und einen Videobeitr­ag finden Sie unter

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 ?? FOTO: DPA/FELIX KÄSTLE ?? Andreas Hammer (rechts), Raumfahrtk­oordinator von Airbus Deutschlan­d, Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und Nicolas Chamussy, Leiter Space-Systems von Airbus, schauen sich vom Besucherra­um aus den neuen Reinraum von Airbus in Immenstaad an.
FOTO: DPA/FELIX KÄSTLE Andreas Hammer (rechts), Raumfahrtk­oordinator von Airbus Deutschlan­d, Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) und Nicolas Chamussy, Leiter Space-Systems von Airbus, schauen sich vom Besucherra­um aus den neuen Reinraum von Airbus in Immenstaad an.

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