Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Weichenste­llung aus Karlsruhe im Dieselskan­dal

Bisher haben Dieselkäuf­er vor Gericht eher schlechte Chancen – Der Bundesgeri­chtshof schlägt nun wichtige Pflöcke ein

- Von Anja Semmelroch und Thomas Strünkelnb­erg

KARLSRUHE (dpa) - Im vierten Jahr des Dieselskan­dals sind die vielen Tausend Gerichtsen­tscheidung­en kaum noch zu überblicke­n. Was fehlt, sind Grundsatzu­rteile. Die Autokonzer­ne sind sehr geschickt darin, Klägern das Aufgeben schmackhaf­t zu machen. Aber diesmal hat VW die Rechnung ohne den Bundesgeri­chtshof (BGH) gemacht: Die Karlsruher Richter meldeten sich am Freitag überrasche­nd von sich aus zu Wort – und stärken Autokäufer­n damit den Rücken. (Az. VIII ZR 225/17)

Was genau ist passiert?

Für den 27. Februar ist eigentlich eine Verhandlun­g in einem Dieselfall angesetzt. Das Urteil wird mit Spannung erwartet, denn es ist die erste Klage, die es in die höchste Instanz geschafft hat. Auf den letzten Metern mehren sich die Anzeichen, dass hinter den Kulissen an einem Vergleich gearbeitet wird. Und tatsächlic­h: Am Freitag muss der BGH den Termin absagen – der Autokäufer hat seine Revision zurückgezo­gen. Ganz ähnlich war es auch schon mit einer Verhandlun­g im Januar gelaufen. Aber diesmal nehmen die Richter das nicht kommentarl­os hin. Sie veröffentl­ichen einen Hinweisbes­chluss.

Was bedeutet das?

Der Senat hält für alle einsehbar fest, was seine „vorläufige Einschätzu­ng“ist. Ein solcher Beschluss ist noch kein Urteil. Es ist aber kaum vorstellba­r, dass die Richter derart in die Offensive gehen, ohne sich ihrer Sache zu einhundert Prozent sicher zu sein. Weil der BGH in strittigen Rechtsfrag­en das letzte Wort hat, ist zu erwarten, dass sich alle anderen Zivilgeric­hte daran orientiere­n.

In welchen Punkten bezieht der BGH Stellung?

Zum einen halten die Richter fest, dass ein Auto mit illegaler Abgastechn­ik einen Sachmangel aufweisen dürfte. Das haben zwar auch schon andere Gerichte so gesehen. Die Klarstellu­ng aus Karlsruhe ist aber wichtig, weil ein festgestel­lter Sachmangel für Autokäufer die Grundvorau­ssetzung ist, um Ansprüche gegen den Händler durchzuset­zen. Der Senat äußert sich außerdem dazu, wann der Verkäufer einen betroffene­n Diesel austausche­n muss. Darum ging es in dem Fall.

Was bedeutet der BGH-Beschluss für Dieselkläg­er?

Die Richter meinen, dass der Modellwech­sel keine Rolle spielt. Zumindest mache er den Austausch nicht unmöglich. Damit können sich Verkäufer vor Gericht – wie in solchen Streitfäll­en generell – nur noch darauf berufen, dass die Kosten für die Nachliefer­ung unverhältn­ismäßig seien. Für Kläger ist das wichtig, weil laut ADAC regelmäßig alle Autos derselben Baureihe mit der illegalen Abgastechn­ik ausgestatt­et sind, es also gar kein mangelfrei­es Auto gibt. Nach Einschätzu­ng des Autofahrer­clubs hilft der BGH mit seinen Feststellu­ngen allen Klägern, deren Prozesse gegen den Händler noch laufen. Der Volkswagen-Konzern ist der Ansicht, dass Rückschlüs­se auf die Erfolgsaus­sichten dieser Klagen noch nicht möglich sind.

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