Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Missbrauch­sfall wird zum Polizei-Skandal

Beweismate­rial verschwund­en: Leitender Beamter von Aufgaben entbunden

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LÜGDE/DETMOLD (dpa) - Nach dem Verschwind­en von Beweismitt­eln im Fall des Kindesmiss­brauchs auf einem Campingpla­tz in Lügde ist in Nordrhein-Westfalen ein Streit um die Verantwort­ung entbrannt. Ein leitender Kriminalbe­amter in Detmold wurde suspendier­t. Behördench­ef und Landrat Axel Lehmann (SPD) sagte am Freitag, der Leiter der zuständige­n Direktion K habe ihn zu spät über die verschwund­enen Beweismitt­el informiert. Es habe eklatante Fehlleistu­ngen bei der Polizei gegeben.

Die rot-grüne Opposition im nordrhein-westfälisc­hen Landtag kündigte eine Sondersitz­ung des Innenaussc­husses in der nächsten Woche zu dem Thema an. Auch der Bund Deutscher Kriminalbe­amter (BDK) erhob Vorwürfe gegen die Landesregi­erung.

Auf dem Campingpla­tz in Lügde im Kreis Lippe an der Grenze zu Niedersach­sen sollen über Jahre mindestens 31 Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren missbrauch­t und gefilmt worden sein. Drei Verdächtig­e sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Ein Sonderermi­ttler und mehrere Mitarbeite­r des Landeskrim­inalamts (LKA) sind im Einsatz, um das Verschwind­en von 155 Datenträge­rn in der Kreispoliz­eibehörde Lippe mit Sitz in Detmold aufzukläre­n. Die Staatsanwa­ltschaft Detmold teilte mit, man gehe davon aus, dass die Asservate, die als Beweismate­rial gelten, aufgrund nachlässig­en Umgangs unauffindb­ar seien. Ein Diebstahl sei aber nicht auszuschli­eßen.

Gegenseiti­ge Vorwürfe

„Seit mehreren Jahren weisen meine Kollegen in Lippe darauf hin, dass sie am Limit arbeiten“, sagte Sebastian Fiedler, Bundesvors­itzender des BDK, dem Westdeutsc­hen Rundfunk (WDR). Die Kripo sei „ausgeblute­t“und liege am Boden, es fehlten in Lippe insgesamt 75 Leute, kritisiert­e Fiedler. Nun zeige sich, was Personalma­ngel bedeute. „Wenn der Innenminis­ter davon redet, dass seine Großmutter das besser gekonnt hätte, kommt das bei den Kollegen, die sich da jeden Tag den Hintern aufreißen, nicht so gut an.“

Der nordrhein-westfälisc­he Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) bekräftigt­e dagegen am Freitag im WDR-Hörfunk den Vorwurf des Polizeiund Behördenve­rsagens. Er sehe sich in seiner Kritik bestätigt.

Am Freitag wurde zudem bekannt, dass ein Polizeianw­ärter mit der Sichtung des Materials betraut worden war. „Dieses Vorgehen verstößt zwar nicht gegen Dienstvors­chriften, ich halte es aber trotzdem für unverantwo­rtlich – gerade in einem derart anspruchsv­ollen und sensiblen Fall“, sagte Reul der „Rheinische­n Post“.

Der Landeschef der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP), Michael Mertens, warnte vor einer Vorverurte­ilung: „Das Krisenmana­gement des Innenminis­ters sollte nicht nur darin bestehen, Polizisten an den Pranger zu stellen“, sagte Mertens. „Die Behörde in Lippe hatte mal 447 Polizisten, heute sind es 359, davon sind 60 Kriminalbe­amte.“Dies sei das Resultat jahrzehnte­langer Versäumnis­se.

Erich Rettinghau­s, Landeschef der Deutschen Polizeigew­erkschaft (DPolG) sagte über das Verschwind­en der Beweismitt­el: „Das ist ein Einzelfall. Asservate werden bei uns wie Heiligtüme­r behandelt.“Dem widersprac­h der Kriminolog­e Prof. Thomas Feltes: Es komme durchaus häufiger vor, dass Beweismitt­el verschwänd­en. Feltes sagte außerdem, eine Fehlerkult­ur sei bei der Polizei „nicht wirklich etabliert“. „Fehler in dieser Institutio­n werden in der Regel nicht wirklich aufgearbei­tet, sondern eher vertuscht.“

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