Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Schauen wir nach Asien“
Stargeigerin Hilary Hahn sieht die Zukunft der klassischen Musik keineswegs düster
Nein, Privates kommt Hilary Hahn im Interview nicht über die Lippen. Und wenn, dann allenfalls wohl dosiert und so, wie sie sich in der Öffentlichkeit gern dargestellt sehen möchte: als Geigerin, die sich ganz der Musik und künstlerischen Wahrhaftigkeit verpflichtet fühlt. Voller Hingabe sucht die immer noch jugendlich wirkende 39jährige Künstlerin nach neuen Wegen in der Klassik. Einst als „Wunderkind“gefeiert („dahinter steckt immer harte Arbeit“) und von Dirigent Lorin Maazel als „Jahrhunderttalent“gepriesen, hatte die US-Amerikanerin schon als Teenager den internationalen Durchbruch geschafft. Heute wird ihre Virtuosität und der Nuancenreichtum im Ausdruck gerühmt. Als Solistin in Prokofjews erstem Violinkonzert ist die Musikerin am 28. Februar beim SWR Symphonieorchester in Stuttgart zu Gast. Christoph Forsthoff hat mit Hilary Hahn über die Veränderungen in der Klassikwelt, Genrewechsel und ihre deutschen Wurzeln gesprochen.
Sie sprechen gut Deutsch. Was haben Sie sich denn noch von der Kultur Ihrer Vorfahren bewahrt?
Von meinem seinerzeit in die USA ausgewanderten Ururgroßvater stammt der Name Hahn, und meine Urgroßeltern haben ihr deutsches Brauchtum stets gepflegt, vor allem zum Weihnachtsfest: Krippenfiguren aus Holz gehörten bei ihnen ebenso zur Feier wie verschiedene anderen Traditionen.
Zudem finden sich natürlich in der Musik, die ich spiele, viele deutsche Komponisten. Wobei ich darüber nie nachgedacht habe. Für mich sind das einfach Bach oder Brahms gewesen. Erst als ich mit zwölf Jahren anfing, Deutsch zu lernen, habe ich auch realisiert, wie sehr ich allein durch die Musik schon früh die deutsche Sprache aufgenommen habe.
Sprache ist ja auch immer Klang. Hat Ihnen die Kenntnis der deutschen Sprache den Zugang zur Musik von Bach, Mozart oder Schubert erleichtert?
Das ist interessant, dass Sie das fragen, denn ich habe noch verschiedene andere Sprachen gelernt. So kann ich Französisch zwar nicht so sprechen, dass die Franzosen mich verstehen können (lacht), aber ich kann es begreifen und lesen und spiele französische Musik. Auch Japanisch habe ich ein wenig gelernt und dadurch viel mehr über die japanische Kultur erfahren und festgestellt, dass es bestimmte Muster in Kultur, Landestradition, Sprache, Gesellschaft oder auch den Werten eines Landes gibt, die sich in seiner Musik widerspiegeln. Und so habe ich über das Studium einer Sprache immer auch etwas über die Art des Umgangs der Menschen miteinander gelernt.
Sie sind mit zehn Jahren nach Philadelphia gegangen, um am Curtis Institute bei Jascha Brodsky zu studieren – wie sind Sie als Kind solch einer Legende begegnet?
Die ersten zwei Jahre habe ich noch in Baltimore gelebt, und mein Vater hat mich zweimal die Woche zum Unterricht ans Curtis Institute gefahren. Mit zwölf bin ich dann mit meinem Vater nach Philadelphia gezogen, und wir sind am Wochenende nach Baltimore zurückgekehrt, wo meine Mutter arbeitete. Hinsichtlich meines Lehrers wünschte ich manch- mal, ich könnte jetzt noch einmal bei ihm Unterricht nehmen …
Warum?
Mein Blick auf die Musik wie auch auf die Welt ist heute ein ganz anderer. Auch mein Spiel hat sich gewandelt. Da wünschte ich mir manchmal seine Erfahrung und Meinung zu meiner heutigen Persönlichkeit und meinem Wissens, denn ich denke, ich könnte noch viel von ihm lernen. Er starb, als ich 17 war: Sieben „goldene“Jahre, die ich mit ihm arbeiten durfte und über die ich bis heute sehr glücklich bin.
Was hat Sie am meisten an ihm beeindruckt?
Ich hatte einen ungeheuren Respekt ihm gegenüber und habe stets gemacht, was er gesagt hat und dies auch nie in Frage gestellt. Er hat mir Geschichten erzählt aus einer Zeit und von Menschen, die ich nur von Aufnahmen kannte wie Heifetz, Milstein, Kreisler und all den anderen großen Geigern. Oder auch von Komponisten wie Samuel Barber: Mit dem war er zur Schule gegangen – später schrieb er dann das Adagio für Streicher für Brodskys Curtis String Quartet und die beiden korrespondierten über das Stück.
Nun hat die Klassik ja über die letzten Jahrzehnte in unserer Gesellschaft an Bedeutung verloren …
Das hängt davon ab, über welche Teile der Welt wir sprechen – schauen wir nach Asien, so hat die Attraktivität der Klassik eher zugenommen. Und wenn wir die Geschichte der Klassik betrachten, sind wir heute fraglos weit mehr Mainstream als in den Anfangszeiten dieses Genres (lacht)... ANZEIGE
Inwiefern?
Was ich sagen will: Es gibt immer ein Auf und Ab. Natürlich interessieren sich nicht so viele Menschen für Klassik wie für Pop-Musik. Doch vergleichen wir es mit Jazz oder Folk, sind wir in einer glücklichen Situation! Denn dort ist das Publikum in den Konzerten weit kleiner und die Musiker wissen oft nicht, ob sie auch ihre Gage erhalten.
Haben Sie Verständnis, wenn Besucher im Konzert husten, ständig flüstern oder mit ihren Smartphones fotografieren?
All dies erlebe ich überall in unserer Gesellschaft. Das ist einfach eine generelle kulturelle Veränderung. Doch ich sehe da kein Problem ähnlich wie bei der vermeintlichen Überalterung des Klassik-Publikums: Es ist eine Frage der Möglichkeiten der aktuellen Lebensphase. Und wenn man Kinder hat, ist es nun mal nicht so einfach, abends wegzugehen und ein Konzert zu besuchen.
Erschweren solche Unaufmerksamkeiten nicht Ihren Auftritt?
Jedes Konzert ist anders. Ich liebe Live-Auftritte. Nein, ich habe nicht festgestellt, dass es heute schwieriger ist, das Publikum zu erreichen. Für mich ist ein Konzert nach wie vor eine sehr wahrhaftige Möglichkeit, vielen Menschen im gleichen Moment zu begegnen – und insofern einfach auch immer wieder eine einmalige Erfahrung.
Eine Erfahrung, für die Sie gern auch einmal über die Genregrenzen hinausblicken. Sie haben schon mit dem Klaviertüftler Hauschka zusammengearbeitet, lieben Rock, Country und experimentelle Musik. Woher rührt diese Offenheit?
Nun, ich kenne schon meine Grenzen und meine Interessen und weiß auch, wer ich bin (lacht). Wenn ich also in andere Genres wechsle, geschieht dies nicht, weil ich darin besonders gute Kenntnisse habe, sondern meistens kenne ich einfach jemanden, der in dem Genre zuhause ist und mit dem ich gern etwas gemeinsam machen möchte – und das geht eben am besten, wenn man zusammen einen Song spielt. Zumal ich diesen kreativen Prozess liebe: Wie machen Leute Musik und kommen von einem Blatt Notenpapier am Ende zu einem gemeinsamen Klangwerk?
28. 2., Stuttgart Liederhalle, Kartentelefon (0711) 55 06 60 77