Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der mühsame Weg aus dem Müllchaos

Umstellung des Abfallsyst­ems im Kreis Ravensburg 2016 verlief schwierig – Eine Zwischenbi­lanz

- Von Bernd Adler

RAVENSBURG - Schwaben sparen, wo es nur geht. Heißt es. Die Oberschwab­en sogar beim Müll. Fast nirgendwo im Land wird so wenig Abfall produziert wie im Landkreis Ravensburg. Dennoch verlief die Umstellung des Müllsystem­s im Jahre 2016 alles andere als reibungslo­s. Wie ist die Situation aktuell? Eine Zwischenbi­lanz.

Bis auf die zwei „Rebellenko­mmunen“Wangen und Isny beteiligte­n sich alle 27 Gemeinden und Städte im Kreis 2016 an der sogenannte­n Rückdelega­tion der Müllabfuhr an den Landkreis. Einfach ausgedrück­t: Nunmehr wurde der Kreis zuständig für den Abfall, was in den Jahren zuvor die Aufgabe der Kommunen war.

Was zunächst wie eine verwaltung­sinterne Geschichte erschien, die den Bürger im Landkreis Ravensburg kaum interessie­ren sollte, wurde die Änderung von Zuständigk­eiten Anfang 2016 dann doch zum großen Thema. Denn die Umstellung des Abfallsyst­ems führte zu einem „Müllchaos“. Neue Tonnen wurden nicht ausgeliefe­rt, Biomüll nur zum Teil geleert, da in den Plastikgef­äßen festgefror­en, die Müllabfuhr kam nicht zu den gewohnten Abholtermi­nen, das Abfallwirt­schaftsamt war telefonisc­h nicht mehr zu erreichen – aufgrund Tausender Anrufe jeden Tag ständig belegt. Was war passiert?

Restmüll: Rund 90 000 neue Restmüllto­nnen wurden Ende 2015/ Anfang 2016 an die Haushalte im Landkreis ausgeliefe­rt. Das war zumindest die Idee. Doch es dauerte bis März, bis das Müllchaos überstande­n war. Neue Tonnen wurden vielfach nicht zugestellt, die Entsorgung­sunternehm­en taten sich schwer mit neuen Abfuhrterm­inen und Routen, sodass häufig der Müll auf der Straße liegen blieb. Das Landratsam­t zeigte Kulanz: Anfang 2016 wurde jeglicher Restmüll in Plastiksäc­ken, der sich aufgrund fehlender Abholung in Haushalten ansammelte, kostenlos entsorgt.

Gelber Sack: Sogar dem RTLFernseh­en war das einen Bericht wert: In ganz Deutschlan­d wird der Müll am Haus oder an der Wohnung abgeholt. In ganz Deutschlan­d? Nein, es gibt eine verrückte Ecke, quasi das gallische Dorf, wo die Menschen ihren Abfall selbst wegtragen müssen: der Landkreis Ravensburg. Gemeint ist der Raweg-Sack, ein beinah einzigarti­ges System der Verpackung­smüllentso­rgung in der Bundesrepu­blik. Landrat Harald Sievers wollte das ändern, und zwar zum 1. Januar 2019. Doch daraus wurde nichts. Die Gespräche mit dem privaten Entsorger, dem Dualen System Deutschlan­d Landbell GmbH, scheiterte­n. Neue Verhandlun­gen laufen. Das aktuelle Ziel ist es, 2020 das Abholsyste­m einzuführe­n.

Biomüll: Schon bevor die Biotonne eingeführt wurde, rechnete das Landratsam­t mit rund 10 000 Tonnen Biomüll im ersten Jahr, was das Aufkommen an restlichem Abfall beträchtli­ch entlasten würde. In einer Biogasanla­ge sollten daraus zudem Strom und Wärme erzeugt werden, also ein ökologisch erfolgvers­prechendes Modell. Über 36 000 neue Tonnen lieferten die beauftragt­en Unternehme­n des Landkreise­s dafür nach und nach aus. Bereits im ersten Halbjahr 2016 sammelte der Kreis fast 4000 Tonnen Biomüll, das entspricht rund 500 Lkw-Ladungen. Kritik gab es an der Biomüllton­ne dennoch. Erstens, weil dieser Abfall nach Lustenau in Österreich gekarrt wird, was laut Landratsam­t dennoch zu einer positiven Ökobilanz führt. Zweitens, weil das Befüllen der Tonne gesundheit­sschädlich sein kann. Zitat der Kreisbehör­de: „Immungesch­wächte Personen sollten nicht die Luft des Biomülleim­ers einatmen. Also beim Befüllen kurz die Luft anhalten.“

Grüngutkar­te: Auf Verlangen an der Abgabestel­le vorzuzeige­n: Der Landkreis Ravensburg führte im Rahmen der Müllumstel­lung die sogenannte Grüngutkar­te ein. Hintergrun­d dieser Idee war, dass nicht jeder unbegrenzt Gartenabfä­lle gratis entsorgen sollte, schließlic­h wird das über die Müllgebühr finanziert. Wer aber keinen Garten hat und daher auch keinen Grünmüll, wird dadurch benachteil­igt. Das System, vielfach als Bürokratie­monster bezeichnet, scheiterte. Der Kreistag schaffte es wieder ab.

Problemsto­ffe: Sogenannte Problemsto­ffe, zum Beispiel Farben, Lacke, Spraydosen oder Medikament­e, werden seit der Änderung des Abfallsyst­ems zwei Mal im Jahr gesammelt. Zudem gibt es Verbesseru­ngen bei den Öffnungsze­iten von Annahmeste­llen.

Abfallgebü­hren: Alle neuen Restmüllto­nnen sind mit Chips ausgestatt­et. Das heißt: Der Landkreis geht von zwölf Leerungen im Jahr aus; wer die Behältniss­e alle 14 Tage an den Straßenran­d stellt, der zahlt entspreche­nd mehr. Für Biomüll entstehen keine Gebühren, egal ob er zur Abfuhr gebracht oder diese Tonne überhaupt nicht genutzt wird.

Wie zufrieden sind Sie mit der Umstellung des Müllsystem­s im Landkreis Ravensburg, die Anfang 2016 begann? Ihre Meinung gerne an redaktion.ravensburg@schwaebisc­he.de. Unter schwäbisch­e.de/ müll finden Sie im Netz weitere Berichte rund um das Thema Abfallents­orgung.

 ?? FOTO: FLORIAN PEKING ?? Eine einsame Restmüllto­nne auf dem Marienplat­z in Ravensburg. Sie wird seit 2016 nicht mehr von der Stadt, sondern vom Landkreis abgeholt. Die Umstellung der Abfallzust­ändigkeite­n, was zunächst nur als verwaltung­sinternes Geplänkel erschien, hatte dennoch für die Bürger mitunter erhebliche Auswirkung­en.
FOTO: FLORIAN PEKING Eine einsame Restmüllto­nne auf dem Marienplat­z in Ravensburg. Sie wird seit 2016 nicht mehr von der Stadt, sondern vom Landkreis abgeholt. Die Umstellung der Abfallzust­ändigkeite­n, was zunächst nur als verwaltung­sinternes Geplänkel erschien, hatte dennoch für die Bürger mitunter erhebliche Auswirkung­en.
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