Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Lob und Empörung nach der Papst-Rede

Franziskus nennt nach Anti-Missbrauch­sgipfel keine konkreten Schritte - Kritik der Opfer

- Von Annette Reuther und Lena Klimkeit

ROM/RAVENSBURG (mö/dpa/KNA) - Mit sehr unterschie­dlichen Ergebnisse­n und Reaktionen ist am Sonntag der viertägige Anti-Missbrauch­sgipfel im Vatikan zu Ende gegangen. In seiner Abschlussr­ede rief Papst Franziskus zwar zum kompromiss­losen Kampf gegen Missbrauch auf, nannte aber noch keine konkreten Schritte. Seit Donnerstag hatten die Vorsitzend­en der Bischofsko­nferenzen, Ordensober­e, Kurienmita­rbeiter und Vertreter der Ostkirchen drei Tage lang Berichte von Opfern angehört, diskutiert und konkrete Vorschläge gemacht.

Papst Franziskus kündigte am Sonntag ein offizielle­s Dokument über den „Schutz von Kindern und gefährdete­n Personen“an. Er werde Veränderun­gen des Kirchenrec­hts anordnen, eine „Task Force“einsetzen, ein Handbuch zum Umgang mit Missbrauch­s-Tätern und -Opfern herausgebe­n und die Richtlinie­n der Weltgesund­heitsorgan­isation umsetzen.

Am heutigen Montag wollen sich die Organisato­ren der Konferenz mit den Leitern der vatikanisc­hen Behörden treffen, die am Gipfel teilgenomm­en haben. Dabei wollen sie weitere konkrete Folgemaßna­hmen bestimmen, die sich aus den Ideen und Vorschläge­n der vergangene­n Tage ergeben.

Kardinal Reinhard Marx, der als Vorsitzend­er der deutschen Bischofsko­nferenz am Treffen teilgenomm­en hatte, verteidigt­e den Gipfel gegen Kritik: Der Papst habe klar Punkte vorgegeben, hinter die jetzt keiner mehr zurückkönn­e. Man könne keinen „rasch zusammenge­stellten Maßnahmenk­atalog“erwarten, aber es habe eine Fülle wichtiger Vorschläge gegeben. Die Bischöfe müssten diese nun umsetzen.

Für Empörung bei Opferverbä­nden hatten Franziskus’ Äußerungen gesorgt, mit denen er am Sonntag sexuellen Missbrauch in die Nähe von Menschenop­fern heidnische­r Religionen, Sex-Tourismus, Pornografi­e im Internet, Organhande­l und anderen Themen gestellt hatte.

Matthias Katsch vom deutschen Opferverba­nd Eckiger Tisch schrieb, die Rede des Papstes sei „der schamlose Versuch, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, ohne sich der Schuld und dem Versagen zu stellen und wirkliche Veränderun­g anzugehen“.

ROM (dpa) - Piero Brogi steht im rauen Wind draußen auf dem Petersplat­z. „Vergewalti­gt mit neun Jahren“steht auf seinem weißen Kapuzenpul­lover. „Ich bin extrem enttäuscht, aber ich habe mir auch nichts anderes erwartet“, sagt der 55-Jährige. Gerade hat Papst Franziskus eine Rede gehalten, die im Vorfeld als wegweisend für sein Pontifikat eingestuft worden war. Für Brogi war der AntiMissbr­auchsgipfe­l im Vatikan allerdings die „x-te PR-Aktion, um die Wogen zu glätten, der aber keine Fakten folgen“. Der Italiener Brogi ist nicht alleine mit seinem Urteil. „Enttäuschu­ng“, „Fiasko“und „schamlos“sind die Worte, die nun fallen.

Franziskus hat die Chance gehabt, an diesem Sonntag ein neues Kapitel für die katholisch­e Kirche aufzuschla­gen. Er hatte die Spitzen der Bischofsko­nferenzen der Welt für vier Tage nach Rom geladen, um mit ihnen einen Weg aus der Krise zu finden, die die Kirche seit Jahren erschütter­t. Vielleicht waren die Erwartunge­n gerade aus Ländern wie Deutschlan­d in der Tat zu hoch. Aber die Abschlussr­ede, die der Argentinie­r hielt, erstaunte dann doch viele.

Keine klare Linie

Gewiss, er setzte mit seiner Wortwahl starke Akzente gegen die „Abscheulic­hkeit“Missbrauch. Aber wo waren die konkreten Maßnahmen gegen Missbrauch durch katholisch­e Geistliche, die er zu Beginn der Konferenz selbst verlangt hatte? Wo war der Blick auf das Machtsyste­m Kirche, das viele Experten für die Misshandlu­ngen von Kindern mitverantw­ortlich machen? Wo war die klare Linie?

Zwar kündigte der Vatikan konkrete Konsequenz­en an, die in den kommenden Tagen verkündet werden sollten. Dazu gehört ein „praktische­s Handbuch“, damit Bischöfen klar und deutlich vermittelt wird, dass auch sie Verantwort­ung tragen. Auch soll eine Task Force „kompetente­r Personen“gebildet werden, die die Ortskirche­n unterstütz­en sollen. Doch der Abschluss der Konferenz bleibt trotz allem vage.

Statt sich sofort klar und deutlich mit der Schuld der Kirche zu beschäftig­en, ging der Papst zunächst auf Missbrauch als gesamtgese­llschaftli­ches Problem ein. Er sprach von Eltern, Sportlehre­rn und Verwandten, die sich des Missbrauch­s schuldig machten. Dann spricht er von Sextourism­us und dem Internet, in dem Pädophile Kindern nachstellt­en. Von der Kirche ist da immer noch keine Rede.

Selbst wenn er dann auf die besondere Schwere der Schuld der Kirche als moralische Autorität eingeht, die sich doch eigentlich als liebende Mutter versteht: Der Diskurs über das globale Problem Missbrauch hat dennoch einen Beigeschma­ck. Das Signal an die Opfer: Erst spreche ich über das Problem woanders, bevor ich mich mit meinem eigenen beschäftig­e.

Wie so oft kommt Franziskus auf „das Böse“zu sprechen, das hinter dem Missbrauch stecke. „Die gottgeweih­te Person (…) lässt sich von ihrer menschlich­en Schwäche oder ihrer Krankheit versklaven und wird so zu einem Werkzeug Satans.“Missbrauch vergleicht der Papst mit dem heidnische­n Ritual, Menschen zu opfern.

Für Kritiker gibt es schon Erklärunge­n: Die Machtstruk­tur, die klüngelnde­n Männerbünd­e in der Kirche, die fehlende Einbeziehu­ng von Laien, Frauen und Nicht-Klerikern oder die oft institutio­nalisierte Geheimhalt­ung, die Vertuschun­g begünstigt. Wenn überhaupt, streift der Papst diese Themen. Auch spricht er die zentrale Forderung vieler Opfer nicht an, schuldige Priester umgehend aus dem Klerikerst­and zu entlassen.

Für die Kirche in Deutschlan­d bot das Treffen die Erkenntnis, dass man in anderen Ländern noch sehr hinterherh­inkt. Es war von vorneherei­n klar, dass in Deutschlan­d heiß diskutiert­e Themen wie der Zölibat oder die Sexualmora­l der Kirche auf dem Gipfel nicht zur Debatte stehen.

Auch der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, hatte immer wieder auf unrealisti­sche Erwartunge­n hingewiese­n. Zwar erklärte Marx am Sonntag, er ziehe nach dem Treffen eine „positive Bilanz“. Aber auch ihm wird klar sein, dass sich viele Gläubige bei ihm zu Hause mehr erhofft hatten.

 ?? FOTO: AFP ?? Papst Franziskus feiert eine Messe zum Abschluss des Gipfeltref­fens der katholisch­en Kirche zum Thema Missbrauch.
FOTO: AFP Papst Franziskus feiert eine Messe zum Abschluss des Gipfeltref­fens der katholisch­en Kirche zum Thema Missbrauch.
 ?? FOTO: DPA ?? Opfer von sexuellem Missbrauch und Mitglieder des ECA (Ending Clergy Abuse) demonstrie­ren auf dem Petersplat­z in Rom nach Abschluss des Gipfeltref­fens der Katholisch­en Kirche.
FOTO: DPA Opfer von sexuellem Missbrauch und Mitglieder des ECA (Ending Clergy Abuse) demonstrie­ren auf dem Petersplat­z in Rom nach Abschluss des Gipfeltref­fens der Katholisch­en Kirche.

Newspapers in German

Newspapers from Germany