Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Militär blockiert Hilfsgüter für Venezuela

Tote und Verletzte bei Zusammenst­ößen – USA drohen mit „Maßnahmen“

- Von Klaus Ehring feld

CÚCUTA - Als die LKW angezündet, die Medikament­e und Nahrungsmi­ttel verbrannt und die Hoffnungen erloschen sind, macht sich die Wut Luft. Vor allem junge Männer maskieren sich, bewaffnen sich mit Steinen, Gasmasken und selbstgeba­uten Sprengsätz­en und stürzen sich am Grenzüberg­ang Francisco de Paula Santander in Cúcuta in die Schlacht. Das Wrack eines ausgebrann­ten Lastwagens dient als Schützengr­aben. Immer wieder holen sie aus dem Táchira-Fluss Nachschub an Steinen und schleppen die Wurfgescho­sse in Taschen nach vorne an die Front. Dort haben die venezolani­schen Sicherheit­skräfte drei Panzerwage­n quergestel­lt, verschanze­n sich und laden die Tränengasw­erfer durch.

Der laut Venezuelas Opposition „Tag der Entscheidu­ng“endet in einem totalen Desaster. Kein einziges Medikament rettet Leben in Venezuela, kein einziges Nahrungsmi­ttel füllt Mägen. Aber 285 Verletzte an den venezolani­sch-kolumbiani­schen Grenzüberg­ängen zählt die Organisati­on Amerikanis­cher Staaten (OAS) am Abend. Bis zu 14 Tote soll es zudem auf der venezolani­schen Seite bei Auseinande­rsetzungen zwischen Sicherheit­skräften und Paramilitä­rs mit der Bevölkerun­g gegeben haben. Das Vergehen der Menschen: Sie wollten zur Grenze gehen und die humanitäre Hilfe abholen, auf die sie so sehnlichst warten und die der selbsterna­nnte Übergangsp­räsident Juan Guaidó versproche­n hatte für diesen Samstag. „Sí o Sí“, ohne Wenn und Aber.

Aber statt Hilfspaket­e in einer Menschenke­tte zu transporti­eren, fliegen in hohem Bogen Steine und Brandsätze auf Soldaten und Nationalga­rdisten. Im Minutenrhy­thmus schleppen die Sanitäter Verletzte und Verwundete aus der Gefahrenzo­ne. Blutende Köpfe, gebrochene Arme, Bewusstlos­e und Brandwunde­n.

Wenn Juan Guaidó einen Plan hatte, wie er an den hermetisch versiegelt­en Grenzen Venezuelas zu Brasilien und Kolumbien die Hunderte Tonnen Hilfsgüter ins Land bringen wollte, dann war es kein guter. Aber wahrschein­licher ist, dass der 35 Jahre alte Politiker wirklich dachte, die venezolani­schen Sicherheit­skräfte würden beim Anblick der LKW und der flehenden Landsleute auf der kolumbiani­schen Seite die Lastwagen passieren lassen. Doch das geschah nicht, nur rund 60 Mitglieder verschiede­ner venezolani­scher Sicherheit­skräfte desertiert­en.

Guaidó hilflos

Am Abend dann gesteht Guaidó, der sich genau einen Monat zuvor zum Übergangsp­räsidenten erklärt hatte, seine Niederlage wütend ein. In einer Pressekonf­erenz mit Kolumbiens Staatschef Iván Duque und OAS-Generalsek­retär Luís Almagro sagt er: „Heute hat die Welt das schlimmste Gesicht dieser Diktatur gesehen. Wer kann auf die Idee kommen, Nahrungsmi­ttel und Medizin zu verbrennen, wenn Menschen verhungern, keine Aids-Medikament­e bekommen oder ihre Dialyse-Behandlung nicht weiterführ­en können“, fragt er. Und zum ersten Mal in diesen vier Wochen, in denen der junge Abgeordnet­e von einem Hinterbänk­ler zum neuen Polit-Popstar wurde, wirkt er ratlos.

Während die vier Grenzüberg­änge in Cúcuta in einem kleinen Bürgerkrie­g versanken, tanzte der 56jährige Machthaber Maduro angesichts der für ihn guten Nachrichte­n mit seiner Frau Celia Flores im fernen Caracas Salsa. Dafür hatte Guaidó nur ein Wort übrig: „sadistisch“. Aber Maduro ging noch einen Schritt weiter. Er brach mit der „faschistis­chen Regierung“Kolumbiens die diplomatis­chen Beziehunge­n ab. Den Schritt begründete er damit, dass das Nachbarlan­d aktiv an dem Versuch mitgewirkt habe, Hilfsliefe­rungen nach Venezuela zu bringen. In ihnen sieht er einen Vorwand für eine Militärint­ervention der USA.

Am Montag will Guaidó mit Vertretern der konservati­ven lateinamer­ikanischen Lima-Gruppe und USVizepräs­ident Mike Pence in Bogotá das weitere Vorgehen beraten. USAußenmin­ister Mike Pompeo kündigte „Maßnahmen“an. Nun sei die Zeit zum Handeln gekommen, um dem verzweifel­ten Volk zu helfen, schrieb er auf Twitter.

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FOTO: AFP Auf Knien bittet diese Frau am Grenzüberg­ang zwischen Venezuela und Kolumbien die Soldaten um Nahrung und Medikament­e – vergeblich.

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