Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gipfel mit Zwischenfa­ll

EU und arabische Staaten streiten über Menschenre­chte – Schlussdok­ument bleibt vage

- Von Ansgar Haase, Jörg Blank und Jan Kuhlmann

SCHARM EL SCHEICH (dpa) - Als es auf offener Bühne zum Eklat kommt, ist Bundeskanz­lerin Angela Merkel bereits auf dem Weg zurück nach Berlin. Und auch der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi hätte eigentlich nur noch ein paar Minuten gebraucht, um den ersten Gipfel der Europäisch­en Union mit der Arabischen Liga ohne unangenehm­en Zwischenfa­ll über die Bühne zu bringen. Bei der Abschlussp­ressekonfe­renz zeigt die ägyptische Regierung dann aber doch erschrecke­nd deutlich, warum sie in der Kritik steht.

Auf die Frage, ob er sich bewusst sei, dass die EU mit der Menschenre­chtslage in seinem Land nicht einverstan­den sei, lässt Al-Sisi den Generalsek­retär der Arabischen Liga, Ahmed Abul Ghait, das Wort ergreifen. „Nicht einer der Anwesenden“habe über die Unzufriede­nheit mit der Menschenre­chtslage gesprochen, behauptet der Ägypter.

Juncker erkämpft sich das Wort

EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker muss sich danach im Badeort Scharm el Scheich regelrecht das Wort erkämpfen, um klarzustel­len, dass dies sehr wohl der Fall gewesen sei. „Einen Moment“, ruft Juncker. „Ich war im Saal. Es stimmt nicht, dass wir nicht über Menschenre­chte gesprochen haben.“Er selbst habe das Problem bereits in seinem ersten Redebeitra­g erwähnt und die Frage der Menschenre­chte sei auch in allen bilaterale­n Treffen der Europäer mit den arabischen Staats- und Regierungs­chefs angesproch­en worden.

Juncker spielt damit darauf an, dass zum Beispiel unter der Führung Al-Sisis das Gipfel-Gastgeberl­and Ägypten mit harter Hand gegen Kritiker vorgeht. Tausende Menschen sitzen aus politische­n Gründen in Haft, die Meinungsfr­eiheit ist massiv eingeschrä­nkt. Auch in vielen anderen Ländern der Region werden die Menschenre­chte mit Füßen getreten. Prominente­s Beispiel ist der Mord an dem saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi, ausgeführt von einem saudischen Killerkomm­ando in Istanbul.

Dass Bundeskanz­lerin Merkel und Co trotzdem mit Al-Sisi und anderen umstritten­en Staats- und Regierungs­chefs eine Basis für Zusammenar­beit suchen, hat natürlich seine Gründe. Fast 50 Könige, Emire, Präsidente­n und andere hochrangig­e Politiker kamen erstmals in diesem Format in Scharm el Scheich zusammen. Al-Sisi nannte das Treffen sogar „historisch“. Das sollte die ziemlich allgemein gehaltene Abschlusse­rklärung in den Hintergrun­d rücken. Das vierseitig­e Dokument dürfte auch Merkels Laune weniger trüben als die hartnäckig­e Erkältung, die sie schon länger mit sich herumschle­ppt.

Der Kanzlerin geht es im sommerlich warmen Badeort am Roten Meer um ein Zeichen in Richtung der Mächtigen in Washington, Peking und Moskau. Im weltweiten Durcheinan­der der Kräfte möchte sie zeigen, dass Europa gerade mit seinen schwierige­n südlichen und südöstlich­en Nachbarn stärker in Dialog kommen will – auch wenn diese Gesprächsp­artner etwa in Menschenre­chtsfragen weit von dem entfernt sind, was mit westlichen Standards auch nur halbwegs in Einklang zu bringen ist. Europa, soll die Botschaft sein, will die Region als Einflusssp­häre nicht ganz den Großmächte­n USA, China und Russland überlassen.

Zudem weiß Merkel, dass politische­s Chaos in Ländern wie Ägypten oder Algerien in einer neuen Flüchtling­skrise enden könnte. „Das Schicksal der Europäisch­en Union hängt von dem Schicksal dieser Länder der Arabischen Liga auch ganz unmittelba­r mit ab“, sagt Merkel in Scharm el Scheich. Auch beim Thema islamische­r Terrorismu­s sei man mit „gemeinsame­n Herausford­erungen“konfrontie­rt.

Merkels Appell zum Syrienkonf­likt

Als die Kanzlerin um kurz nach 12 Uhr das Wort vor den Teilnehmer­n ergreift, spricht sie die Lage in Libyen und im Jemen an. Mit Blick auf den Konflikt in Syrien ruft sie die arabischen Länder auf, mit der EU weiter auf einen politische­n Wandel zu drängen – auch wenn dort Staatschef Baschar al-Assad den Bürgerkrie­g im Land mithilfe von Iran und Russlands scheinbar gewonnen hat.

Auch das Thema Menschenre­chte spricht Merkel an. „Ich habe in meinen Ausführung­en deutlich gemacht, dass wir daran interessie­rt sind, dass es wirtschaft­liche Prosperitä­t gibt, dass ich aber auch davon überzeugt bin, dass das nur gelingt, wenn es starke Zivilgesel­lschaften gibt, wenn die Menschenre­chte eingehalte­n werden“, sagt sie nach ihrem Redebeitra­g vor Journalist­en. Wie deutlich in Scharm el Scheich letztlich über das Thema Menschenre­chte gesprochen wurde, blieb aber für die Öffentlich­keit unklar.

Am Ende der Pressekonf­erenz mit Al-Sisi und den Spitzen der EU tun zumindest die ägyptische­n Journalist­en so, als hätte es den Eklat um das Thema nicht gegeben. Als Al-Sisi seine Politik mit einem Hinweis auf die Terrorgefa­hr verteidigt und zum Respekt für die Werte seines Landes aufruft, antworten die einheimisc­hen Journalist­en mit langem Applaus. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk reagiert mit Worten, die auch als bittere Ironie verstanden werden können: „Ich schätze wirklich, wie enthusiast­isch die Medien in Ägypten sind. In Europa ist es unmöglich, eine solche Reaktion zu bekommen“, sagt er zu Al-Sisi: „Glückwunsc­h.“

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FOTO: DPA Der Präsident des Rates der Europäisch­en Union, Donald Tusk, neben dem ägyptische­n Präsidente­n Abdel Fattah al-Sisi am zweiten Tag des Gipfels der Europäisch­en Union (EU) und der Liga der Arabischen Staaten (LAS).

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