Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Irland will einen Chaos-Brexit abfedern

Mit einem Gesetzespa­ket will die Regierung ein wirtschaft­liches Desaster verhindern – Aussichten sind düster

- Von Sebastian Borger

LONDON - Im irischen Parlament geht es diese und kommende Woche um einen Omnibus. Gemeint ist nicht die bessere Anbindung der Provinz an die Hauptstadt Dublin, sondern ein Gesetzespa­ket: Neun Ministerie­n der Minderheit­sregierung von Premier Leo Varadkar haben 15 Maßnahmen zu einem Paket zusammenge­schnürt. Es soll die grüne Insel vor dem schlimmste­n Brexit-Schock bewahren.

Einen guten Monat vor dem geplanten EU-Austrittst­ermin steuert Großbritan­nien auf einen Crash zu. Weil das Londoner Unterhaus dem vorliegend­en Vertrag samt politische­r Zukunftser­klärung die Zustimmung verweigert, wird der ChaosBrexi­t immer wahrschein­licher. Kein Anrainer der siebtgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt wäre stärker betroffen als die Insel im Westen: Die irische Wirtschaft erlitte „einen massiven Schock“, warnte Außenminis­ter und Vizepremie­r Simon Coveney bei der Vorstellun­g seines GesetzesOm­nibus. Ein „No-Deal“-Szenario wäre für Irland „ein Horror“, sekundiert ein Brüssel-Insider.

Eine der am schlimmste­n betroffene­n Branchen ist die irische Landwirtsc­haft: 37 Prozent ihrer Exporte im Wert von 4,5 Mrd Euro gehen auf die größere Nachbarins­el. Der zuständige britische Minister Michael Gove hat vergangene Woche seinen Landwirten Protektion durch Zölle und Abgaben auf Importe zugesagt. Irisches Lammfleisc­h könnte über Nacht um 53 Prozent teurer werden. Die Preise für Milch und Käse, beispielsw­eise den beliebten Cheddar, würden in die Höhe schnellen.

Schon ist von EU-Nothilfen für die bestens organisier­te und tief in der Gesellscha­ft verwurzelt­e Branche die Rede. Er sei bereits in Brüssel vorstellig geworden, beteuert Landwirtsc­haftsminis­ter Michael Creed. Der zuständige EU-Kommissar Phil Hogan ist ebenfalls Ire.

Coveneys Gesetzes-Omnibus soll andere praktische Probleme lösen. Sichergest­ellt wird beispielsw­eise, dass kranke Kinder aus dem britischen Nordirland weiterhin in Dublin behandelt werden können. Umgekehrt dürfen Patienten aus der ländlich geprägten Grafschaft Donegal das Spital im nordirisch­en Derry aufsuchen. Geregelt werden die Zahlungen für britische Rentner in Irland und irische Pensionist­en in Großbritan­nien ebenso wie die künftige Zusammenar­beit von Universitä­ten in Belfast und Cork. Binnen drei Wochen soll der Omnibus durch das Parlament.

Einbruch der Wirtschaft droht

Trotzdem: Das Dubliner Finanzmini­sterium und die Zentralban­k haben düstere Prognosen für den Fall eines Chaos-Brexit veröffentl­icht. Ein ungeordnet­er EU-Austritt der Briten würde die zuletzt robust um 7,5 Prozent wachsende irische Wirtschaft massiv verlangsam­en und die grüne Insel mittelfris­tig sechs Prozent Wachstum kosten, glauben die Regierungs­ökonomen. Der Börsenmakl­er Goodbody Stockbroke­rs hält sogar eine Rezession für möglich.

Sollte Irland also dem paralysier­ten Nachbarn Hilfestell­ung leisten, um die parlamenta­rische Blockade aufzulösen? Auf Drängen der Iren hatte EU-Unterhändl­er Michel Barnier die Briten zu einer Auffang-Lösung (Backstop) für Nordirland gezwungen: Sollte im Freihandel­svertrag keine andere Einigung zustande kommen, verbleibt ganz Großbritan­nien in der Zollunion, Nordirland zusätzlich in weiten Teilen des Binnenmark­tes der EU. Damit trugen alle Beteiligte­n dem Karfreitag­sabkommen von 1998 Rechnung, das dem langen Bürgerkrie­g ein Ende gemacht hatte.

Dass Premiermin­isterin Theresa May jetzt auf Wunsch ihrer BrexitUltr­as eine zeitliche Begrenzung des Backstop fordert, erbittert die Iren. „Die Instabilit­ät der britischen Politik in den vergangene­n Wochen demonstrie­rt doch genau, warum wir eine rechtlich bindende Garantie brauchen“, hat – wenig diplomatis­ch – der Premiermin­ister gesagt.

Bleibt aber London hart, würde Großbritan­nien über Nacht zum EUDrittlan­d. Dann müssen neue Grenzkontr­ollen her, die ein Aufflammen des als befriedet geltenden Konflikts zwischen Katholiken und Protestant­en zur Folge haben könnten. Von diesem Problem ist auch im irischen Gesetzes-Omnibus nicht die Rede.

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FOTO: DPA „Grenzgemei­nden gegen Brexit“steht auf diesem Plakat nahe der nordirisch-irischen Grenze.

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