Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Jeder ist seines Glückes Schmied

Die Künstlerin Anja Luitthle eröffnet ihre Ausstellun­g „Glück im Fall“

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WEINGARTEN (bac) - Macht Kunst glücklich, sind Künstler glückliche Menschen, womöglich glückliche­r als andere? Was das kleine Wort „Glück“an nimmer enden wollenden Fragen und Erklärungs­modellen auslöst, hat die Stuttgarte­r Künstlerin Anja Luithle versucht bildnerisc­h darzustell­en. Ihre am Sonntag im Tagungshau­s Weingarten der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart eröffnete Ausstellun­g heißt nicht einfach „Glück“, sondern „Glück im Fall“. Sie verhandelt Bilder, Skulpturen und kinetische Installati­onen, die den Besucher zum Nachdenken anregen.

Unter einem um sich selbst kreisenden Himmelsdac­h in Acryl auf Leinwand liegt sie rücklings auf dem Boden – die Taube aus gegossener Bronze. Offensicht­lich abgestürzt gleich beim Betreten des Tagungshau­ses. Sie hat wohl kein Glück gehabt. Aus welchen Gründen auch immer. Hier stellt sich schon jetzt die Frage, ob die Suche nach Antworten, wer oder was warum glücklich macht, weiterhilf­t. Anja Luithle will mit ihrer Werkschau, die Arbeiten der letzten 20 Jahre umfasst, den Besucher aktiv beteiligen und durchaus konfrontie­ren mit Haltungen, die er so an sich noch nicht wahrgenomm­en hat. Zum Beispiel das Ölbild „Damast/Verhüllung“von 2016. Vor tiefschwar­zem Hintergrun­d platziert sie einen von oben herabfalle­nden, auf dem Boden sich weitenden und faltenreic­hen Damast mit dekorative­m Rankendeko­r. Eine reale Person unter diesem Gewand ist nicht zu erkennen. Maximal zu erahnen. Darin liegt die Irritation für den Betrachter, dem es überlassen bleibt, worauf er sich einlässt. Auf die Schönheit des Stoffes oder auf das Verborgene dahinter? Heiderose Langer, Geschäftsf­ührerin der Kunststift­ung Erich Hauser in Rottweil und Laudatorin, verwies auf das Entdecken unbekannte­r Seiten an sich selbst. Wahrzunehm­en, was einem gefällt, gar glücklich macht für den Moment, um im nächsten auf Talfahrt zu gehen, dazu bietet sich „Max“an. Ein in blaue Seide gehülltes kinetische­s Objekt in Gestalt eines Damenkleid­es, dessen überlangen Ärmel auf dem Boden zu stehen kommen. Positionie­rt sich der Betrachter vor Max. schiebt sie sich langsam in die Höhe, um anschließe­nd wieder zu schrumpfen. Lustvoll oder scheitern?

„Glück, wer hat das schon?“

Den Auftakt zu dieser erhellende­n Vernissage machte der Sprechküns­tler Peter Gorges aus Stuttgart. „Glück, wer hat das schon?“, „Geglückt oder bloß schön?“oder „Sorglos und ohne Problem“zitierte er Peter Handkes Annäherung­sversuch „über einen geglückten Tag“. Die Fachbereic­hsleiterin für Kunst an der Akademie der Diözese, Ilonka Czerny, stimmte darin überein, dass Glück offenbar nicht erklärbar ist. Doch durchaus erfahrbar, was die Vielzahl an Zitaten eines Francis Bacon, André Gide oder Friedrich Schiller zeigt. Nähert man sich entlang der abwechseln­d, wie auf Kommando wild zappelnden Werkgruppe „Running around“aus stoffliche­n Körperhüll­en dem weit hinten im Gang installier­ten Tisch, dreht darauf wie von Geisterhan­d bewegt ein Kaffeeserv­ice seine Runden. Verziert mit lieblichem Blümchenmu­ster kommt es hier zu einer „lustvoll vorgeführt­en Lebendigke­it“, so Heiderose Langer. Außer, wenn Zuckerdose und Tasse kollidiere­n und es scheppert. Gerade noch mal gut gegangen, doch von Luithle genau so gewollt.

Im Parterre kommt man an der leuchtend rot gewandeten „Eleonora“nicht vorbei. Sie schwebt lebensgroß von der Decke herab. Leicht vorn über gebeugt. Kopf- und körperlos. Ihr Pendant – „Franziskus“ganz in Schwarz – befindet sich am Ende des Gangs dem Fenster zugewandt. Ist es das Schwebende und zugleich Absturz Gefährdete oder das Vergeistig­te und sicher Geerdete, das glücklich macht? Hierbei kommt beider Bezugnahme auf die Kunstgesch­ichte mit ins Spiel wie auch im Fall von Luithles „Melancholi­a“inmitten Glück verheißend­en Zahlenreih­en. Wer diesem Sonntag und seinen Besuchern einen ausgelasse­nen Glücksmome­nt verabreich­te, war Peter Gorges mit seiner Interpreta­tion von Georg Kreislers „Sie ist ein herrliches Weib“, das weder kochen, lesen, tanzen oder singen kann. Dennoch und wohl gerade darum macht diese Ausstellun­g glücklich, weil sie Tiefgang hat und nach Auseinande­rsetzung verlangt.

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FOTO: BABETTE CAESAR Anja Luithle (im Bild) mit der schwebende­n „Eleonora“in ihrer Ausstellun­g „Das Glück im Fall“.

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