Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ratte war im Laufstall der Tochter
Im Lindauer Stadtteil Reutin sind die Nager häufig in den Straßen anzutreffen
LINDAU - Ratten im Haus. Für viele ist das eine Horrorvorstellung. Eine junge Mutter aus Reutin erzählt, wie das bei ihr passiert ist. Eine Ratte war im Laufstall ihrer Tochter unterwegs. Ein Experte meint: Offene Komposthaufen in den Siedlungen ziehen die kleinen Allesfresser an.
Eine junge Mutter ist mit ihrem Mann und ihrer knapp einjährigen Tochter zum Jahreswechsel nach Lindau gezogen. Die Familie hatte im Sommer ein Einfamilienhaus in Reutin gekauft und es renoviert. Ihren Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Mit Ratten hat die Familie allerdings spezielle Erfahrungen gemacht. Am Tag nach dem Einzug entdeckt sie plötzlich kleine schwarze Ballen unter der Sockelleiste in ihrer Küche. Diese stellen sich als Rattenkot heraus. „Wir haben uns dann auf die Suche gemacht, um festzustellen, ob die Ratte noch da ist“, erzählt die junge Reutinerin.
Tatsächlich machten die Eheleute unter den Küchenschränken eine unangenehme Entdeckung und erinnern sich: „Die Ratte hatte sich ein Stofftier aus dem Laufstall meiner Tochter geklaut, und begonnen daraus ein Nest zu bauen.“Als Mutter habe sie sich schon Sorgen gemacht, dass die oft als Krankheitsüberträger bezeichneten Tiere ihrer Tochter so nahe kamen.
Die in Deutschland häufigste Rattenart ist die Wanderratte. Die fast unterarmlangen Tiere sind sehr scheu und meiden den direkten Kontakt mit Menschen in der Regel. Als exzellente Kletterer und Schwimmer leben sie in der Kanalisation und kommen durch Abwasserrohre bis in die Häuser. Die Reutinerin vermutet allerdings, dass bei ihr die während der Renovierung oft geöffnete Haustür das Einfallstor für die ungebetenen Gäste war. Ungewöhnlich sind Ratten im Haus jedoch nicht.
Je nach Quelle leben in der Bundesrepublik 80 bis 800 Millionen Ratten. Auch in Reutin sind sie keine Seltenheit. Wer derzeit abends durch die Gassen des Stadtteils streift, hat insbesondere an der Blauwiese und in der Nähe des Köchlinweihers gute Chancen, die Nagetiere zu beobachten. Deshalb finden sich rund um den Weiher die schwarzen Köderboxen der Firma Fleschhut.
Thilo Fleschhut ist professioneller Schädlingsbekämpfer aus Bad Waldsee. Er meint: „Die Ratten finden an dem Weiher nahezu ideale Bedingungen vor. Als hervorragende Schwimmer lieben sie die Kanäle und Bäche, und im Müll der Siedlung finden sie Nahrung.“Die stehe vor allem dann hoch im Kurs, wenn der Schnee viele andere Flächen überdecke. Außerdem bleibe bei der Fütterung von Schwänen und Enten am Weiher oft viel Brot liegen, auch das locke die Ratten an.
Auch an der Wertstoffinsel am Parkplatz P1 laben sich die Ratten. Hier entsorgt so mancher seine Lebensmittelabfälle ins Gebüsch hinter den Containern. Allerdings müssen die Nager sich noch nicht mal bis dort hin wagen. In den vielen Gärten finden sie jede Menge Leckerbissen wie Nudeln, Eier oder Brot auf den Komposthaufen. Von denen kommen sie schnell in die Häuser. Die Ratten loszuwerden ist derweil ein Geduldspiel. Mit der Hilfe von Schädlingsbekämpfer Fleschhut hat die Reutiner Familie ihr ganzes Haus durchsucht, Fallen aufgestellt und konsequent alle Löcher verschlossen. In allen Zimmern haben sie Nutella-Brote ausgelegt um zu testen, ob noch Ratten da sind. Angebissen hat aber nichts mehr. Fleschhut meint aber: „Ganz sicher kann man sich nie sein, ob man gerade welche im Haus hat.“Das hat auch nichts mit der Sauberkeit zu tun, einen Mülleimer und ein warmes Plätzchen finden die Tiere in jedem Haushalt.
Schon eine zum Lüften geöffnete Terrassentür genüge, in viele Keller führen zudem Abwasserohre oder andere enge Zugänge, die für Ratten kein Problem sind. Er rät: „Grundsätzlich sollte man nicht Lüften, wenn es draußen noch dunkel ist.“Ansonsten helfe es alle auch noch so kleinen Löcher zu verschließen. Beim Kompost hat Fleschut eine klare Meinung: „Da gehören keine Lebensmittel hin.“Tatsächlich empfehlen auch Gartenfachleute, höchstens rohes Obst und Gemüse sowie Kaffeesatz zu kompostieren. Gekochte oder tierische Lebensmittel ziehen Ratten an.
Ratten sind intelligent
Die Bekämpfung der Ratten ist schwierig. Ratten sind intelligent und vermehren sich schnell. Die schwarzen Köderboxen sind zwar mittlerweile so gebaut, dass weder Hunde noch Kinder an deren Inhalt gelangen können, aber die Ratten halten sie auch nur schwer im Zaum. „Die Tiere sind köderscheu“; erklärt Thilo Fleschhut. Nur wenn der Köder gut schmecke und offensichtlich ungefährlich sei, würden sich Ratten daran satt essen und so auch sicher verenden. Zudem können die Schädlingsbekämpfer Fallen einsetzen.
In jedem Fall ist die Rattenbekämpfung eine langwierige Angelegenheit, und der Besuch der kleinen Nagetiere auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Von einer Rattenplage will der Fachmann in Reutin aber nicht sprechen. Fleschhut sagt: „In jeder großen Stadt gibt es Ratten, in einer mit viel Wasser eben ein paar mehr.“