Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Unfreiwillig entlassen
Ehepaar muss Traum vom Leben im alten Laupheimer Amtsgerichtsgefängnis aufgeben
LAUPHEIM - Eigentlich wollte Petro Hecht lebenslänglich hinter Gittern bleiben – nicht weil er etwas ausgefressen hat, sondern weil er mit seiner Frau Margarete im früheren Laupheimer Amtsgerichtsgefängnis wohnt. Die beiden haben viel Geld in die Hand genommen und das alte Gemäuer saniert. Jetzt müssen sie es verkaufen, weil sie finanziell an ihre Grenzen gestoßen sind. Die Stadt teilt auf Anfrage mit, dass sie wohl nicht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen werde. Einen möglichen Käufer gebe es bereits.
Eine Klingel sucht man vergeblich. Wer das Ehepaar Hecht besuchen möchte, muss eine Telefonnummer anrufen, die auf dem Briefkasten klebt. Erst dann öffnet der Hausherr das mächtige Tor, das den Weg hinter die verputzte Backsteinmauer freigibt. Zumindest, wenn er Besuch erwartet.
Die Welt bleibt draußen
Ob es nicht beklemmend ist, in einem Gefängnis zu leben? Der Hausherr verneint entschieden: „Wir sperren uns nicht ein, sondern die Welt aus, damit der ganze Unfrieden draußen bleibt.“Tatsächlich ist die Atmosphäre in dem Gebäude mit den kleinen vergitterten Fenstern freundlich – dafür sorgen weiße Wände und helle Fußböden. „Das überrascht die meisten, wenn sie das erste Mal hier sind.“
Petro Hecht ist 69 Jahre alt, gebürtiger Ravensburger und gelernter Automechaniker. In den Neunzigern hat er der Stadt das Gefängnis, das damals einer Ruine glich, für 87 000 DM abgekauft. Bedenken hatten er und seine Frau keine: „Wer einen Traum verwirklichen will, muss auch mal in den sauren Apfel beißen.“Mit den Banken sei es jedoch nicht immer einfach gewesen. Die Sanierung hat das Ehepaar, das ein Dekorationsgeschäft betreibt, nach eigenen Angaben über eine Million Euro gekostet. „Heute weiß ich, was Leidenschaft bedeutet“, sagt Hecht. Neben zahlreichen glücklichen Momenten habe das Leben im Gefängnis auch Leiden geschaffen – Leiden finanzieller Natur. Und jetzt ist der Traum geplatzt. Petro und Margarete Hecht müssen ihr außergewöhnliches Zuhause verkaufen.
In den Neunzigern hat sich die Stadt Laupheim das sogenannte dingliche Vorkaufsrecht gesichert. Heißt: Sie ist bei einem erneuten Verkauf mit im Boot. „Die Stadt will das alte Amtsgerichtsgefängnis in guten Händen wissen“, sagt Thomas Echtle, Leiter des Amts für Stadtplanung und Baurecht. Einen ersten Kontakt mit einem möglichen Käufer habe es bereits gegeben. Ausüben werde die Stadt ihr Vorkaufsrecht wohl nicht. „Bei der Prüfung haben wir mögliche Nutzungen bewertet, darunter auch die öffentliche“, erklärt Echtle. Dabei spielten auch Zwänge eine Rolle, die es zu beachten gilt – vom Brandschutz über Rettungswege bis hin zum Denkmalschutz. Eine abschließende Entscheidung müsse nun der Gemeinderat treffen.
Petro Hecht könnte mit einem Verzicht auf das Vorkaufsrecht gut leben. Denn er meint: „Die Stadt hat das Gebäude verfallen lassen und mit dem Verkauf in den Neunzigern abgestoßen.“Einen Kaufinteressenten, der eine große Tresor-Sammlung sein Eigen nennt, habe er bereits. „Das würde hervorragend passen“, schwärmt Hecht. „Diebe brechen Tresore auf. Und wenn sie geschnappt werden, kommen sie ins Gefängnis.“Ob es sich bei dem besagten Interessenten auch um den möglichen Käufer handelt, mit dem die Stadt in Kontakt getreten ist, wollte Amtsleiter Thomas Echtle weder dementieren noch bestätigen.
Was im Gefängnis bleibt
Wenn Petro und Margarete Hecht ausziehen, werden manche Gegenstände im Gefängnis bleiben: darunter alte Medikamentenschachteln, Zinnfiguren und Brettspiele, die Häftlinge in ihren Zellen hinterlassen haben. Hecht verwahrt alles sorgfältig in einer Vitrine. „Die Sachen gehören einfach hierher“, betont er.
Außerdem soll eine Skulptur, die das Ehepaar in Nordfriesland gekauft hat, in dem Gebäude bleiben, das 1845 fertiggestellt wurde. Die Arbeit des Künstlers Günter Skrodzski zeigt drei Häftlinge hinter Gittern in verschiedenen Stadien ihres Aufenthalts: empört an den Stäben rüttelnd, resignierend und um Gnade bittend.
Noch stehen den Laupheimer Eheleuten über 300 Quadratmeter Nutzfläche zur Verfügung. Sich auf eine kleinere Fläche umzustellen, das werde extrem schwierig. „Wir gehen nicht freiwillig“, bedauern sie. Die Häftlinge, die einst in den Zellen schmorten, hätten darüber wohl den Kopf geschüttelt. Das lassen Sprüche erahnen, die sie in die Wände geritzt haben: „Und wenn sie dich auch noch so hassen, einmal müssen sie dich doch entlassen.“