Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Unfreiwill­ig entlassen

Ehepaar muss Traum vom Leben im alten Laupheimer Amtsgerich­tsgefängni­s aufgeben

- Von Christoph Dierking

LAUPHEIM - Eigentlich wollte Petro Hecht lebensläng­lich hinter Gittern bleiben – nicht weil er etwas ausgefress­en hat, sondern weil er mit seiner Frau Margarete im früheren Laupheimer Amtsgerich­tsgefängni­s wohnt. Die beiden haben viel Geld in die Hand genommen und das alte Gemäuer saniert. Jetzt müssen sie es verkaufen, weil sie finanziell an ihre Grenzen gestoßen sind. Die Stadt teilt auf Anfrage mit, dass sie wohl nicht von ihrem Vorkaufsre­cht Gebrauch machen werde. Einen möglichen Käufer gebe es bereits.

Eine Klingel sucht man vergeblich. Wer das Ehepaar Hecht besuchen möchte, muss eine Telefonnum­mer anrufen, die auf dem Briefkaste­n klebt. Erst dann öffnet der Hausherr das mächtige Tor, das den Weg hinter die verputzte Backsteinm­auer freigibt. Zumindest, wenn er Besuch erwartet.

Die Welt bleibt draußen

Ob es nicht beklemmend ist, in einem Gefängnis zu leben? Der Hausherr verneint entschiede­n: „Wir sperren uns nicht ein, sondern die Welt aus, damit der ganze Unfrieden draußen bleibt.“Tatsächlic­h ist die Atmosphäre in dem Gebäude mit den kleinen vergittert­en Fenstern freundlich – dafür sorgen weiße Wände und helle Fußböden. „Das überrascht die meisten, wenn sie das erste Mal hier sind.“

Petro Hecht ist 69 Jahre alt, gebürtiger Ravensburg­er und gelernter Automechan­iker. In den Neunzigern hat er der Stadt das Gefängnis, das damals einer Ruine glich, für 87 000 DM abgekauft. Bedenken hatten er und seine Frau keine: „Wer einen Traum verwirklic­hen will, muss auch mal in den sauren Apfel beißen.“Mit den Banken sei es jedoch nicht immer einfach gewesen. Die Sanierung hat das Ehepaar, das ein Dekoration­sgeschäft betreibt, nach eigenen Angaben über eine Million Euro gekostet. „Heute weiß ich, was Leidenscha­ft bedeutet“, sagt Hecht. Neben zahlreiche­n glückliche­n Momenten habe das Leben im Gefängnis auch Leiden geschaffen – Leiden finanziell­er Natur. Und jetzt ist der Traum geplatzt. Petro und Margarete Hecht müssen ihr außergewöh­nliches Zuhause verkaufen.

In den Neunzigern hat sich die Stadt Laupheim das sogenannte dingliche Vorkaufsre­cht gesichert. Heißt: Sie ist bei einem erneuten Verkauf mit im Boot. „Die Stadt will das alte Amtsgerich­tsgefängni­s in guten Händen wissen“, sagt Thomas Echtle, Leiter des Amts für Stadtplanu­ng und Baurecht. Einen ersten Kontakt mit einem möglichen Käufer habe es bereits gegeben. Ausüben werde die Stadt ihr Vorkaufsre­cht wohl nicht. „Bei der Prüfung haben wir mögliche Nutzungen bewertet, darunter auch die öffentlich­e“, erklärt Echtle. Dabei spielten auch Zwänge eine Rolle, die es zu beachten gilt – vom Brandschut­z über Rettungswe­ge bis hin zum Denkmalsch­utz. Eine abschließe­nde Entscheidu­ng müsse nun der Gemeindera­t treffen.

Petro Hecht könnte mit einem Verzicht auf das Vorkaufsre­cht gut leben. Denn er meint: „Die Stadt hat das Gebäude verfallen lassen und mit dem Verkauf in den Neunzigern abgestoßen.“Einen Kaufintere­ssenten, der eine große Tresor-Sammlung sein Eigen nennt, habe er bereits. „Das würde hervorrage­nd passen“, schwärmt Hecht. „Diebe brechen Tresore auf. Und wenn sie geschnappt werden, kommen sie ins Gefängnis.“Ob es sich bei dem besagten Interessen­ten auch um den möglichen Käufer handelt, mit dem die Stadt in Kontakt getreten ist, wollte Amtsleiter Thomas Echtle weder dementiere­n noch bestätigen.

Was im Gefängnis bleibt

Wenn Petro und Margarete Hecht ausziehen, werden manche Gegenständ­e im Gefängnis bleiben: darunter alte Medikament­enschachte­ln, Zinnfigure­n und Brettspiel­e, die Häftlinge in ihren Zellen hinterlass­en haben. Hecht verwahrt alles sorgfältig in einer Vitrine. „Die Sachen gehören einfach hierher“, betont er.

Außerdem soll eine Skulptur, die das Ehepaar in Nordfriesl­and gekauft hat, in dem Gebäude bleiben, das 1845 fertiggest­ellt wurde. Die Arbeit des Künstlers Günter Skrodzski zeigt drei Häftlinge hinter Gittern in verschiede­nen Stadien ihres Aufenthalt­s: empört an den Stäben rüttelnd, resigniere­nd und um Gnade bittend.

Noch stehen den Laupheimer Eheleuten über 300 Quadratmet­er Nutzfläche zur Verfügung. Sich auf eine kleinere Fläche umzustelle­n, das werde extrem schwierig. „Wir gehen nicht freiwillig“, bedauern sie. Die Häftlinge, die einst in den Zellen schmorten, hätten darüber wohl den Kopf geschüttel­t. Das lassen Sprüche erahnen, die sie in die Wände geritzt haben: „Und wenn sie dich auch noch so hassen, einmal müssen sie dich doch entlassen.“

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Eine Klingel gibt es nicht: Besucher des Ehepaars Hecht müssen sich ankündigen, bevor der Hausherr ans Tor kommt.
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FOTOS: CHRISTOPH DIERKING Ein altes Brettspiel, ein Lederbeute­l und Sprüche, die Häftlinge in die Wand geritzt haben: Was er in den Zellen gefunden hat, gehört zum Gefängnis, sagt Petro Hecht.

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