Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Türkei vor dem nächsten Schritt Richtung Russland
Die USA versuchen, Präsident Erdogan vom Kauf eines Raketenabwehrsystems abzuhalten – Der lässt sich nicht auf Verhandlungen ein
ISTANBUL - Die USA wollen den Nato-Partner Türkei in den kommenden Monaten vom Kauf eines russischen Raketenabwehrsystems abbringen. Zwei hochrangige Beamte des US-Außenministeriums sprechen diese Woche in Ankara mit türkischen Regierungsvertretern, um den Kauf russischer S-400 durch die Türkei noch zu verhindern. Präsident Recep Tayyip Erdogan betonte jedoch kürzlich, das Geschäft mit Russland sei unter Dach und Fach. Die Lieferung der russischen Raketen soll im Juli beginnen. Europa und USA sehen den Import als neues Zeichen einer Abwendung der Türkei vom Westen.
Erdogans Regierung argumentiert, die Türkei brauche eine eigene Raketenabwehr – früher musste Ankara westliche Staaten wie Deutschland um die Stationierung des Patriot-Abwehrsystems bitten, um sich gegen mögliche Angriffe aus dem Bürgerkriegsland Syrien zu schützen.
Das in der Nato verbreitete Patriot-System ist der Türkei zu teuer. Auch lehnen die USA einen Technologie-Transfer ab. Zudem sorgt sich Ankara, dass der amerikanische Kongress das Geschäft am Ende verhindern könnte. Deshalb kam die Türkei mit Russland ins Geschäft. Für 2,5 Milliarden Dollar hat Ankara bei Moskau zwei Batterien der S-400-Raketen bestellt, das modernste System der russischen Rüstungsindustrie. Amerikaner und Europäer befürchten, dass die S-400-Anlagen innerhalb der Nato nicht kompatibel seien – und dass die Russen über die Systeme westliche Waffensysteme wie die hochmodernen F-35-Kampfflugzeuge ausspionieren könnten. Die USA haben deshalb die Lieferung der Jets an die Türkei vorerst gestoppt.
Erdogan lässt sich davon nicht beeindrucken. Das Geschäft mit den Russen werde nicht rückgängig gemacht, sagte Erdogan. Allerdings sei die Türkei offen dafür, zusätzlich zu den S-400 auch Patriots zu kaufen. Schließlich braucht die Türkei mehr als nur zwei Abwehrbatterien. Die USA wollen aber kein Nebeneinander von Patriots und S-400.
Die Bedenken stoßen wiederum in Ankara auf wenig Verständnis. Das Nato-Mitglied Griechenland habe schließlich auch das russische Vorgängermodell S-300 kaufen können, heißt es in der türkischen Hauptstadt. Anders als die Amerikaner haben die Russen den türkischen Kunden einen Technologie-Transfer versprochen, der Ankara mittelfristig in die Lage versetzen könnte, eigene Abwehrraketen zu entwickeln.
Hauptproblem liegt woanders
US-Vizepräsident Mike Pence warnte kürzlich, Washington werde nicht tatenlos zuschauen, wenn die Türkei das russische System kaufen sollte. Ein Angebot der USA, noch in diesem Jahr die Patriots zu schicken, wenn die Türkei auf die S-400 verzichtet, hat Erdogans Regierung aber abgelehnt, wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete.
Das Hauptproblem ist jedoch ein anderes. Die Wurzel der Differenzen sei der „Mangel an Vertrauen“zwischen den USA und der Türkei, schrieb die türkische Journalistin Barcin Yinanc in der Zeitung „Hürriyet Daily News“. Ankara und Washington sind sich im Syrien-Konflikt uneins, in dem die Amerikaner die kurdische Miliz YPG unterstützen, die von den Türken als Terrororganisation angesehen wird. US-Präsident Donald Trump hat gedroht, er werde die Türkei „wirtschaftlich zerstören“, wenn die Türkei die syrischen Kurdenkämpfer angreifen sollte.
Dagegen arbeitet Erdogan in Syrien und anderswo eng mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen, der alles daransetzt, die Kluft zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern zu verbreitern. So baut Russland unter anderem das erste türkische Atomkraftwerk.