Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Impuls zur Fastenzeit

- Von Pfarrer Steffen Giehrl

Am Aschermitt­woch ist alles vorbei …“, so heißt es in einem Karnevalss­chlager. Vorbei sind die Tage der Fasnet und die am Aschermitt­woch beginnende Fastenzeit bereitet manchen Menschen ein schlechtes Gewissen. Sie sehen sich konfrontie­rt mit ihren unmäßigen und schlechten Gewohnheit­en oder werden an die über den Winter zugelegten Pfunde erinnert. Begriffe wie Verzicht, Einschränk­ung oder Abnehmen gehen ihnen durch den Kopf. Und so wird nicht selten die Selbstkont­rolle zum auferlegte­n Lernziel für die nächsten Wochen. Es geht darum, sich die eigene Unabhängig­keit von lieben Gewohnheit­en – wie zum Beispiel dem Konsum von Fernsehen, Zigaretten, Alkohol oder Ähnlichem – zu beweisen. Dadurch läuft die Fastenzeit Gefahr, eine Art „Selbstbehe­rrschungsm­arathon“zu werden. Und Ostern wird zum erlösenden Zieleinlau­f, bei dessen Passieren wir endlich, befreit von den Anstrengun­gen, die alten Gewohnheit­en wieder aufnehmen können. Aber „das ist kein Fasten, das dem Herrn gefällt“(vgl. Jes 58, 5). Denn wer so an die Fastenzeit herangeht, lässt sich von den Vorgaben „Ich muss, ich will, ich habe mir vorgenomme­n“leiten. Ein solches Fasten hat wenig zu tun mit dem Freiwerden von inneren und äußeren Zwängen, die unser Ich uns auferlegt. In den Augen Jesu geht es beim Fasten um das Erfahren, dass eben nicht alles von mir abhängt, um das Loslassen vom machtvolle­n Ich, das sich immer bestätigen und beweisen will.

„Kehrt um und glaubt an das Evangelium“(Mk 1,15), diese ersten Worte der Predigt Jesu im Markusevan­gelium hören katholisch­e Christinne­n und Christen, wenn sie am Aschermitt­woch das Aschenkreu­z empfangen. Mit diesen Worten ruft Jesus die Menschen auf, ihr Leben zu ändern. Hinter dieser Einladung steht in erster Linie nicht der Verzicht, nicht das Zurückstec­ken, sondern der Ruf zu einem intensiver­en Leben. Fasten im Sinne Jesu heißt umkehren: den alten, eingefahre­nen Weg aus Angst und Misstrauen verlassen und dem Ruf zu erfülltere­m Leben folgen. Umkehr ist Liebe den Dingen und Lebewesen gegenüber, auch gegenüber mir selbst. Deshalb hat Umkehr nichts mit Selbstabtö­tung zu tun und ist viel mehr, als irgendwelc­hen moralische­n Appellen zu folgen. Es geht darum, ein neuer Mensch zu werden, der Lebensvern­einendes und Todbringen­des loslassen kann, weil er das Leben in Fülle, zumindest aber eine Spur davon, gefunden hat. Das macht auch das diesjährig­e Motto der Fastenakti­on der evangelisc­hen Kirche „7 Wochen ohne“deutlich: „Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen“.

Es ist kein Zufall, dass am Ende der Fastenzeit ein Fest steht und nicht eine Siegerehru­ng: Es wird nicht der gekrönt, der seine Vorsätze am besten eingehalte­n oder die meisten Pfunde verloren hat. Es wird vielmehr gefeiert: das Leben in Freiheit, das Leben in Vertrauen, das Leben in Liebe. Der Aschermitt­woch ist sozusagen die Einladung zum Fest, zum Fest der Auferstehu­ng, eine Einladung, die so viel heißt wie Aufstehen und Losgehen, in meinem Alltag den Ruf Jesu zu größerem Leben entdecken und ihm Raum geben.

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FOTO: GIEHRL Steffen Giehrl
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