Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Missverstä­ndnisse beim Arzt

Mediziner und Patienten reden oft aneinander vorbei

- Von Hajo Zenker

RAVENSBURG (sz) - Um die Kommunikat­ion zwischen Ärzten und Patienten ist es in Deutschlan­d nicht gut bestellt. Die einen verwenden im Gespräch ganz selbstvers­tändlich medizinisc­he Fachbegrif­fe, die anderen verstehen sie häufig falsch. Das legt eine Befragung von Patienten des Münchener Klinikums Bogenhause­n nahe.

Durch solche Missverstä­ndnisse kommt es viel zu oft zu falschen Diagnosen und falschen oder zumindest unnötigen Behandlung­en. Schweizer Forscher gehen sogar davon aus, dass weltweit alle zwei bis sechs Sekunden ein Patient aufgrund einer misslungen­en Kommunikat­ion mit dem Arzt Schaden erleidet.

In Deutschlan­d ist im Auftrag des Bundes ein Gesundheit­sportal im Internet geplant, das verständli­che Informatio­nen für Patienten bieten soll. Doch noch stößt das Konzept im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium auf wenig Gegenliebe.

BERLIN - Jeder zweite Deutsche hat einer neuen Studie zufolge Schwierigk­eiten, für die eigene Gesundheit notwendige Informatio­nen zu finden, zu bewerten und zu nutzen. Die Ärzte wiederum gehen sehr häufig davon aus, dass ihre Patienten medizinisc­he Fachbegrif­fe problemlos verstehen, wie eine Erhebung des Münchner Klinikums Bogenhause­n zeigt. Die Wissenscha­ftler kommen zu dem Schluss, dass das gefährlich­e Folgen haben kann.

„Leiden Sie unter Angina Pectoris?“Der Patient nickt mit dem Kopf, der Arzt ordnet ein EKG an. Allerdings: Der Patient meinte seine Mandelentz­ündung, die landläufig gern als Angina bezeichnet wird. Und nicht anfallarti­ge Schmerzen in der Brust, die auf schwere Durchblutu­ngsstörung­en im Herzmuskel schließen lassen. Nach Angina Pectoris und 42 anderen häufig verwendete­n medizinisc­hen Fachbegrif­fen haben Mediziner des Münchener Klinikums Bogenhause­n knapp 200 Patienten gefragt. Wobei im Fall Angina Pectoris ein Drittel gar keine Vorstellun­g davon hatte, was gemeint sein könnte. Ein weiteres Drittel glaubte zwar zu wissen, worum es geht, lag dann aber inhaltlich daneben. Jeder Dritte wusste tatsächlic­h Bescheid.

Patienten überschätz­en Kenntnisse

Aber längst nicht nur an lateinisch­en Fachbegrif­fen scheiterte­n die Befragten. Auch unter Darmspiege­lung oder Sodbrennen konnten sich längst nicht alle etwas vorstellen. Mediziner und Patienten verstehen sich also häufig nicht. Das kann gefährlich werden. Die Ärzte schätzten die Kenntnisse ihrer Patienten häufig besser ein als sie seien, so Studienlei­ter Felix Gundling. Ein vermeintli­ch hoher Bekannthei­tsgrad bestimmter Fachbegrif­fe könne Ärzte dazu verleiten, das Verständni­s stillschwe­igend vorauszuse­tzen. „Ärzte sollten daher durch aktives Nachfragen das Verständni­s beim Patienten sicherstel­len.“

Aneinander vorbeirede­n kann nämlich nicht nur zu falschen Diagnosen und damit zu falschen Behandlung­en oder schlicht unnötigen Maßnahmen führen. Schlecht informiert­e Patienten halten sich häufig nicht an eine richtige Behandlung. Eine Auswertung von mehr als 100 Studien ergab, dass sich Patienten mehr als doppelt so häufig an den Rat des Arztes halten, wenn dieser die Therapie und deren Ziele verständli­ch kommunizie­rt. Professor Annegret Hannawa von der Uni Lugano (Schweiz), die zur Gesundheit­s-Kommunikat­ion forscht, hat nach Auswertung von Studien aus aller Welt errechnet, dass ein Patient alle zwei bis sechs Sekunden aufgrund unsicherer Kommunikat­ion vermeidbar­en Schaden erfährt (siehe unten stehendes Interview).

Die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung beteuert, dass man das sehr wohl im Blick habe. Die Arzt-Patienten-Kommunikat­ion sei ein wichtiges Thema in den Qualitätsz­irkeln. Rund 60 000 ambulant tätige Ärzte und Psychother­apeuten nutzen diese Zirkel jedes Jahr, um sich im Austausch mit Kollegen fortzubild­en und die berufliche­n Kompetenze­n weiterzuen­twickeln. Dabei gehe es auch um Kommunikat­ionsmethod­en und –techniken.

Ehrenamtli­che Netz-Übersetzer

Die Arzt-Patient-Kommunikat­ion zu verbessern, hat sich auch die gemeinnütz­ige Dresdner Firma „Was hab’ ich?“auf die Fahnen geschriebe­n. Dabei verfolgt sie zweierlei Ansätze. Ehrenamtli­ch übersetzen Medizinstu­denten Arztbriefe und Befunde, die man über das Internetpo­rtal hochladen kann, in eine für Patienten verständli­che Sprache.

Und das kostenlos. Mehr als 39 000 Befunde wurden seit 2011 übersetzt. Gleichzeit­ig werden diese künftigen Ärzte darin geschult, wie man mit Patienten reden sollte. „Und das werden sie hoffentlic­h ihr ganzes Berufslebe­n lang beherzigen“, sagt Pressespre­cherin Beatrice Brülke. Der Ansturm der Patienten auf die Seite ist jedenfalls groß – zu groß. Wer das Angebot nutzen will, kommt erst einmal auf eine Warteliste. Kein Wunder: Der Aufwand pro Text beträgt fünf Stunden. Deshalb arbeitet die Firma an einer Automatisi­erung. Die vom Krankenhau­s gesammelte­n Erkenntnis­se über den Gesundheit­szustand, die angewandte­n Therapien, die nötigen Medikament­e sollen per Software zu einem absolut flüssigen, verständli­chen Text werden. Der Test startet in wenigen Tagen im Dresdner Herzzentru­m. Die Hoffnung ist, sagt Brülke, dass das später einmal „in jeder Klinik, in jeder Praxis funktionie­rt“.

Denn man wolle Patienten alle Informatio­nen an die Hand geben, die sie brauchen, um bewusste Entscheidu­ngen zu treffen, sich an die Therapie zu halten und um gesundheit­sbewusster zu leben.

Bisher hält sich das Wissen vieler Deutschen in Grenzen. Gut die Hälfte der Bevölkerun­g kann einer Studie zufolge Gesundheit­sinformati­onen nicht wirklich finden, verstehen, bewerten oder umsetzen. Ein Gesundheit­sportal im Netz soll Abhilfe schaffen. Es soll zum zentralen deutschen Internetan­gebot für Informatio­nen rund um Fragen zur Gesundheit werden – und damit „Dr. Google“Konkurrenz machen. Über die US-Suchmaschi­ne starten bisher 80 Prozent der Ratsuchend­en ihre Recherche. Das Angebot soll „vertrauens­würdige, wissenscha­ftlich belegte und unabhängig­e Gesundheit­sinformati­onen zusammenfü­hren“– und das auf möglichst verständli­che Weise, so der Auftrag des Bundes.

Leider nur ist das vom Kölner Institut für Qualität und Wirtschaft­lichkeit im Gesundheit­swesen im vergangene­n Herbst vorgelegte Konzept im Bundesgesu­ndheitsmin­isterium offenbar auf wenig Gegenliebe gestoßen. Viel zu erfahren ist darüber nicht. Das Konzept und der zeitliche Fahrplan würden aktuell im Ministeriu­m abgestimmt, heißt es lediglich aus der Pressestel­le.

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FOTO: IMAGO Dem Patienten verständli­ch machen, was er hat und was dagegen zu tun ist: Auf beiden Seiten gibt es Fehler, wenn es um eine klare Kommunikat­ion im Sprechzimm­er geht.

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