Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Oskar Lafontaine kämpft noch immer
Er hat der SPD gedient und ihr geschadet – Vor 20 Jahren trat er zurück
BERLIN – Es war der Stein, der die Lawine ins Rollen brachte: Oskar Lafontaines Rücktritt als SPD-Chef, als Finanzminister und als Bundestagsabgeordneter, am 11. März 1999. Es ging um den Kurs der Sozialdemokratie, aber auch um persönliche Eitelkeiten. „Es war sicherlich die Entscheidung in meinem politischen Leben, die mich am meisten belastet hat“, sagt Lafontaine heute, 20 Jahre nachdem er mit seinem Rücktritt die SPD spaltete, später Galionsfigur der linksgerichteten Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG) und schließlich Linken-Chef wurde.
75 Jahre ist er heute alt, lebt in Merzig, ist Vorsitzender der Linken im saarländischen Landtag und in erster Linie der Mann an ihrer Seite: Mit Linken-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht ist Oskar Lafontaine in vierter Ehe seit 2014 verheiratet.
Ob es ohne Lafontaine die Abspaltung von der SPD in der WASG, die später wiederum mit den Linken fusionierte, auch gegeben hätte, ist unklar. Zum großen Bruch kam es, als Lafontaine in der rot-grünen Koalition als Finanzminister in einen Kurs eingebunden war, den er selbst nicht bestimmte. Sondern neben Kanzler Gerhard Schröder war es vor allem dessen Kanzleramtsminister und früherer Preussag-Geschäftsführer Bodo Hombach, der die SPD wirtschaftsliberal ausrichtete.
In den ersten Wochen nach der Bundestagswahl 1998 konnte Lafontaine sich noch als Neben-Kanzler fühlen. Er hatte großen Einfluss, nachdem er auf seine eigene Kanzlerkandidatur zugunsten von Gerhard Schröder verzichtet hatte. Bei der Wahl zuvor hatte Rudolf Scharping für das Kanzleramt kandidiert, weil Lafontaine noch an seinem Trauma litt. Er war mitten im Wahlkampf 1990 als Kanzlerkandidat der SPD bei einer lebensgefährlichen Messerattacke angegriffen worden. Und noch Jahre später drehte er sich verschreckt um, wenn jemand zu schnell von hinten auf ihn zuging.
„Zwischen uns passt kein Blatt Papier“, war der bekannteste Ausspruch der Politiker Schröder und Lafontaine von 1998, den schon damals keiner glaubte. Denn wenn zwei eitle Männer um den Kurs und die Macht streiten, geht das nie gut.
1999 war es dann so weit: Oskar Lafontaine ergriff Hals über Kopf die Flucht, ohne große Erklärungen, aber mit Andeutungen über das „schlechte Mannschaftsspiel“in Bonn. Schnell packte ihn der Ehrgeiz, sich als Gewissen der SPD zu stilisieren. Er trat für eine friedliche Außenpolitik ein und lehnte das Eingreifen der Deutschen im Kosovo-Krieg ab. Doch für das Privatisieren an der Seite seiner damaligen Ehefrau Christa Müller und seinem Sohn eignete sich das „political animal“Lafontaine nicht. Unvergessen ist sein Auftritt in November 1995, als er in Mannheim den farblosen Rudolf Scharping aus dem Amt putschte „Wenn wir selbst begeistert sind, können wir auch andere begeistern.“
Zurück auf der politischen Bühne
Dieser Mann nun ohne Aufgabe? Schnell meldete sich Lafontaine auf der politischen Bühne zurück. Erst in Interviews mit Kritik an Schröder, mit dem er seit 1999 nie wieder ein Wort gewechselt hat. Dann mit dem Austritt aus der SPD und dem Eintritt in die WASG, die durch seine Initiative mit der Linkspartei ein Wahlbündnis schmiedet. Lafontaine kehrte 2005 in den Bundestag zurück, als Co-Fraktionsvorsitzender von Gregor Gysi, ab 2007 wird er Parteivorsitzender der Linken neben Lothar Bisky. Lafontaine war über lange Zeit das Gesicht der West-Linken, die oft idealistischer und realititätsferner aufgestellt waren als die Kollegen aus dem Osten. Die Zusammenarbeit war nicht immer leicht, es gab viele Reibungen. Zu einer Art Kulturkampf bei den Linken kam es, als Oskar Lafontaine den Rücktritt von Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch forderte. 2010 gab Lafontaine dann wegen Prostatakrebs seine Ämter in Berlin auf und kehrte an die Saar zurück, wo er es nach allem, was man hört, weiterhin liebt, im Scheinwerferlicht zu stehen.
Für seine alte Partei, die SPD, war Oskar Lafontaine jahrelang einer der gewichtigsten Gründe, die Bündnisse mit den Linken unmöglich machten. „Wer für soziale Gerechtigkeit, die Erhaltung des Friedens und der Umwelt eintritt, kann nicht plötzlich aufhören“, sagt Lafontaine heute. Sein neuestes Projekt: Mit der Sammlungsbewegung „Aufstehen“will er nun die Linke wieder vereinen, die er einst selbst mit gespalten hat.