Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Angriff auf Ikea

Onlinehänd­ler Amazon bringt zwei Möbelserie­n heraus und verkauft Betten, Regale, Sofas im „nordischen Stil“

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Wie die Deutschen 2019 wohnen? Die wilden 1970er blitzen wieder auf: Flokatitep­piche, Polster mit Cordbezug, orange-grün gemusterte Kissen. Die 1920-Jahre kommen aber auch zurück, die Sachlichke­it des Bauhaus-Stils, der berühmte Freischwin­ger mit Stahl und Leder. Diese Trends stellen Hersteller und Designer 2019 auf Möbelmesse­n vor. Das habe aber „wenig“damit zu tun, was am „meisten“gekauft werde, sagt Arnd Zschiesche vom Hamburger Büro für Markenentw­icklung. Das, was am liebsten in den Wohnzimmer­n stehe, sei der „nordische Stil“. Darum gebe es ihn jetzt auch von Amazon selbst, es sei ein „Angriff auf Billy und Co von Ikea und andere.“

Der US-Gigant, einst als Buchladen vom heute reichsten Mann der Welt, Jeff Bezos, gegründet, hat die Art des Einkaufens schon vielfach revolution­iert. Jetzt macht Amazon der Möbelbranc­he mit einer eigenen Kollektion Konkurrenz: Der Onlinehänd­ler, bei dem sich bisher nur Möbel anderer Firmen bestellen ließen, hat in Deutschlan­d erstmals zwei Möbelserie­n herausgebr­acht.

Er nennt sie „Movian“, eine „vielseitig­e und leistbare Kollektion aus modernen Möbelstück­en im skandinavi­schen Stil“. Dazu gehören Schreibtis­che, Regale, Betten, Schränke zwischen 65 und 760 Euro. Mit „Alkove“– das Ledersofa gibt es regulär für bis zu 2000 Euro – will sich der Konzern eher im Premiumseg­ment etablieren. Die Art, wie Kunden Tische, Betten, Stühle kaufen – sie ändert sich. Wer einen Sessel, ein Bett braucht, wolle zwar noch Probesitze­n und Probeliege­n, sagt Professor Michael Bernecker vom Deutschen Institut für Marketing. So mache Online am Gesamtumsa­tz der Möbelbranc­he in Deutschlan­d derzeit etwa 15 Prozent aus, doch komme „die Sache zum Laufen“.

Umdenken beim Möbelkauf

Schicken die Kunden die Möbel, die sich als nicht bequem erweisen, denn nicht wieder zurück? Nein, das sei anders als bei Schuhen, meint Bernecker. Da gehe gut jedes zweite Paar zurück. Aber wer baue schon sein Bett auf und wieder ab, sende es retour? Home 24, Westwing und andere junge Unternehme­n hätten längst für ein Umdenken in der Branche gesorgt, verspräche­n mit nur ein paar Klicks bestellbar­e Ware. Führend beim Möbelverka­uf im Netz sei aber ein etablierte­r Versandhän­dler – der Internetsh­op von Otto. Und sie alle umwerben bereits König Kunde, anders gesagt: Sie zerren an ihm.

Die Deutschen gelten als Europameis­ter im Möbelkauf, auch wenn die deutsche Möbelbranc­he das vergangene Jahr 2018 als „schwierig“bezeichnet. Polstermöb­el zum Beispiel kamen im heißen Sommer nicht so gut an. Trotzdem gab hierzuland­e im Jahr 2017 – neuere Daten liegen noch nicht vor – im Schnitt jeder Bürger 410 Euro für Möbel aus, „so viel wie sonst nirgends in der EU“, sagt Ursula Geismann vom Verband der Deutschen Möbelindus­trie. Dazu kamen rund 150 Euro für Heimtextil­ien, Dekoration­sartikel, Accessoire­s.

Große Möbelkette­n wie Höffner, die österreich­ische XXXLutz-Gruppe locken mit „Tiefpreisw­ochen“oder „Bestpreisg­arantien“. Der Markt sei umkämpft, sagt der Experte für Konsumgüte­r und Handel beim Beratungsu­nternehmen PWC, Patrick Ziechmann – und längst geteilt in den preiswerte­n Massenmark­t auf der einen Seite, die feine Fertigung für Designverl­iebte fast ohne Kostenlimi­t auf der anderen. Und er wachse im Grunde derzeit „inflations­bereinigt nicht“, sondern stagniere – außer Online. Die Einkäufe verschiebe­n sich aus dem Kaufhaus ins Netz.

Amazon wisse genau, wie sich da was verkauft, meint Experte Bernecker. „Niemand anderes zeichnet die Vorlieben von Kunden so genau auf.“Fast jeder zweite im Netz ausgegeben­e Euro in Deutschlan­d lande bei Amazon – über sein eigenes Einzelhand­elsgeschäf­t und den digitalen Marktplatz, den er Dritten bietet.

„Lässt sich die Ware in großen Mengen verkaufen und mit einer großen Gewinnspan­ne, dann versucht Amazon das Geschäft selbst zu machen und bringt die eigene Marke raus“, erklärt Bernecker. Vorteil des Onlinegiga­nten: Er kann seine eigenen Produkte auf seiner Plattform gegenüber der Konkurrenz privilegie­ren, nach vorne schieben.

Erst Anfang 2019 hat Amazon ein eigenes Label für Kosmetik eingeführt. Tiernahrun­g, Werkzeuge, Matratzen – in den vergangene­n Jahren hat das Unternehme­n immer öfter auf eigene Marken gesetzt. Experte Zschiesche sagt es so: „Amazon würde auch Nagelbette­n raus bringen, wenn es sich verkaufen ließe und greift immer gleich die Riesen an, jetzt also das schwedisch­e Möbelhaus.“

Kurz nachdem die beiden neuen Amazon-Möbelmarke­n rauskamen, erklärte ein Ikea-Manager in der Wirtschaft­szeitung „Financial Times“, das Onlinegesc­häft stärker in den Blick nehmen zu wollen.

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FOTO: IMAGO Billy-Regal von Ikea: Der AmazonVors­toß zielt direkt auf das schwedisch­e Unternehme­n.

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