Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
Zwei Uraufführungen im Schauspiel Bregenz an einem Abend und eine dramatische Symbiose zwischen dem österreichischen Autor Thomas Arzt und dem Schweizer Gerhard Meister: brillantes politisches Theater. Die ältere Verwandtschaft, bis auf Kroetz und Achternbusch, von den Bühnen leider abgetreten, lässt grüßen – Qualtinger, Kreisler und Bernhard, Ludwig Thoma nicht zu vergessen oder Jelinek. Giftige, ironische Spielereien mit den heilen Welten des Volkstheaters, mit der bösen Dialektik von Heimat und der ideologischen Instrumentalisierung von Erinnerung. Denkbar jedoch auch, dass ein paar besonders aufrechte Politiker und Zeitungsverleger nach einem solchen Abend ihre obligatorische Frage zwanghaft wiederholen, warum diese Art Verunglimpfung der schönen Heimat staatliche Subventionen verdiene.
Vieles ist im Bühnen-Vorarlberg aus der Ordnung geraten, zur „Verunsicherung“ für die Leute geworden, wie Thomas Arzt sein Stück betitelt. Wenn nicht mal mehr die Landesrätin versteht, warum das „Ländle“neu vermessen wird. Von Wien, von Brüssel? Wenn „sie“mitten in der Nacht die Familie nebenan abholen. Wenn für „die“Vorarlberg doch nur noch „Hinterarlberg“ist und sie sich Identität und Heimat zusammenpuzzeln; Verunsicherte zwischen ideologischen Verschwörungstheorien, Fragen und klugen Erkenntnissen: „Nichts ist so bedrohlich wie eigene Zweifel“. „Lauter vernünftige Leute“sind sie für Gerhard Meister im zweiten Stück des Abends, und er zeigt, wie ihnen die Vernunft ausgetrieben wurde, wie von 1919 über 1933 bis heute aus ihnen nützliche Opportunisten gemacht wurden, mit nationalistischen Feinbildern, die in der demokratischen EU heute so beängstigend funktionieren. Beide Autoren kontern mit wundervoll bissigem Humor und kluger Rhetorik. www.landestheater.org Die alten Erklärungen der Welt, die Konstruktionen rassistischer Identitäten von Tätern wie Opfern, weißen wie schwarzen, in Europa und in den Kolonien, nimmt einer der erhellendsten, verstörendsten afrikanischen Künstler, der in Zimbabwe geborene Kudzanai Chiurai in seinen großflächigen Foto-Serien und Video-Installationen auseinander. Die mit europäischem Herrenwahn und missionarischer „Erlösung“ausgelöschten indigenen Religionen, die Königreiche (in denen es auch Königinnen gab) und Kulturen mussten weg, um den von Europa erfundenen „Primitiven“zu weichen (wie bei uns die Vernunft den „HeimatIdeologen“und Heilsbringern). Chiurai decouvriert Erinnerungen als Lügen. Eine Begegnung mit dem modernen, sich erhebenden Afrika. Bis 23. März in Stuttgart, Charlottenplatz 17, Galerie im Institut für Auslandsbe-ziehungen. www.ifa.de
Mit einer Übernachtung lässt sich diese seltene Ausstellung, ebenfalls noch bis Ende März, verbinden mit einem sensationellen Tanztheater von radikaler Dichte und Klarheit menschlicher Beziehungen – „One of a kind“, von Jiri Kylián. www.staatstheater-stuttgart.com