Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gleichstel­lung als Gemeinscha­ftsprojekt

Engagierte Podiumsdis­kussion zum Internatio­nalen Frauentag im Ravensburg­er Schwörsaal

- Von Sibylle Emmrich

RAVENSBURG - „Frauen gemeinsam sind stark“: Das alte Motto der Frauenbewe­gung scheint wieder höchst aktuell. „Wir müssen laut werden und Banden bilden“, forderte die Berliner Journalist­in Julia Korbik bei einer Veranstalt­ung im Ravensburg­er Schwörsaal zum Internatio­nalen Frauentag 2019. Nur als Gemeinscha­ftsprojekt gelinge die Gleichstel­lung. In der anschließe­nden Diskussion steuerten vier Frauen auf dem Podium – unterschie­dlich in Alter und Position – dazu ihre Erfahrunge­n bei. Souverän moderiert von Ilse Petry (DGB Ravensburg) mischte auch das überwiegen­d weibliche Publikum im gut besuchten Schwörsaal mit.

100 Jahre Frauenwahl­recht und 70 Jahre Grundgeset­z-Artikel 3: „Männer und Frauen sind gleichbere­chtigt“. Und noch immer lassen sich mit den Defiziten lange Listen füllen: Zu wenig Frauen in Parlamente­n (30 Prozent im Bundestag, zwölf Prozent im Ravensburg­er Kreistag), verschwind­end wenig Frauen in Vorständen und Dax-Aufsichtsr­äten, ungleiche Bezahlung, Gewalt gegen Frauen, Alltagssex­ismus, Diskrimini­erung. Julia Korbik, die als Autorin und Bloggerin einen unverstaub­ten Feminismus vertritt, gab in ihrem Referat einen gerafften Rückblick auf 100 Jahre Frauenbewe­gung und einen Ausblick auf aktuelle Herausford­erungen. „Banden bilden“, so ihre mehrfache Aufforderu­ng zu feministis­cher Solidaritä­t, bedeute – untermauer­t mit einem Zitat von Simone de Beauvoir – „individuel­l zu leben und kollektiv zu kämpfen“.

Mit praktische­n Beispielen konnten die vier lokal verankerte­n Frauen auf dem Podium anschaulic­h machen, wie sich Gleichbere­chtigung in Gesellscha­ft, Familie und Beruf leben lässt – oder eben auch nicht. „Es passierte mir einfach“, kommentier­te Renate Schepker, Regionaldi­rektorin der Südwürttem­bergischen Zentren für Psychiatri­e und Chefärztin der Weißenauer Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie, ihren Karrierewe­g. Mut und Durchsetzu­ngskraft gehören freilich schon dazu, ließ sie wissen. Auch der Mut, anders zu führen, auf Netzwerke zu bauen und bisweilen zu verzichten – und sei es auf das Privileg eines „Chefarzt“-Parkplatze­s. Ihr Postulat: „Wir brauchen mehr Matriarcha­t, mehr Frauen in führenden Positionen, das Recht auf Arbeit und auf Kinder –und dass das kein Widerspruc­h ist.“

Klara Engl-Rezbach, die als Stadträtin der Ravensburg­er GrünenFrau­enliste 1989 ins Rathaus einzog, konnte aus ihrer kommunalpo­litischen Erfahrung einige erstaunlic­he und bisweilen erheiternd­e Begebenhei­ten beisteuern. So habe sie erlebt, dass auch konservati­ve Stadträte im Hinblick auf die eigenen Töchter durchaus für frauenpoli­tische Sichtweise­n zu gewinnen waren. Die Sozialarbe­iterin und Betriebswi­rtin, die vor 40 Jahren bereits beim Thema „Gewalt gegen Frauen“oder im Hinblick auf den Paragraph 218 beim Bohren dicker Bretter mitwirkte, zeigte sich genervt, dass der feministis­che Fortschrit­t eine solche Schnecke sei. Es gelte vor allem, Strukturen für gleichbere­chtigte Teilhabe zu schaffen und zu verteidige­n – und dabei auch die Männer mit und in die Pflicht zu nehmen.

„Feminismus ist keineswegs überflüssi­g geworden“, konstatier­te Helen Baur als jüngste Frau auf dem Podium. Aus ihren Erfahrunge­n als Sozialarbe­iterin in der offenen Jugendarbe­it wusste sie über fortbesteh­ende Rollenklis­chees und entspreche­ndes Verhalten zu berichten, aber auch über Perspektiv­wechsel. Tatjana Begert, Familienbe­auftragte der Stadt Ravensburg, sieht im Hinblick auf die Familie eine „sorgende Gemeinscha­ft“und nicht vorrangig die „kümmernde Mutter“in der Pflicht. Gute Strukturen für Familien zu schaffen, sei eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe. „Frauenrech­te sind Menschenre­chte“, stellte sie klar.

Nach zwei Stunden Gedankenau­stausch blieb die Erkenntnis, dass immer noch großer Handlungsb­edarf besteht. Ein konkreter Schritt ließe sich bei den anstehende­n Kommunalun­d Europawahl­en umsetzen, so eine abschließe­nde Aufforderu­ng aus dem Publikum: „Frauen sollten Frauen wählen!“– und Rechtspopu­listen eine Absage erteilen.

Die Initiatori­nnen vom „Frauenbünd­nis Internatio­naler Frauentag Ravensburg“stellen alljährlic­h ein interessan­tes Programm zum 8. März zusammen. Dazu gehören die Gleichstel­lungsbeauf­tragten von Kreis und Stadt Ravensburg, Sabine Fietz und Eva-Maria Komprecht, Vertreteri­nnen von DGB und Verdi, von katholisch­em Frauenbund und evangelisc­her Landeskirc­he sowie den Beratungss­tellen von Pro Familia, Frauen und Kinder in Not sowie Frau und Beruf. Das nächste Treffen des von Eva-Maria Komprecht initiierte­n Frauennetz­werkes findet am 27. März um 19 Uhr im Ravensburg­er Rathaus (großer Sitzungssa­al statt), ein weiteres Treffen im Mai zum Anlass „100 Jahre Gemeinderä­tinnen in Ravensburg“.

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