Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Jeder Pflasterstein ist ein Schlag“
Eine Rollstuhlfahrerin berichtet, an welche Grenzen sie in Wangens Altstadt stößt
WANGEN - „Vollkommen ignorant“findet es Ulrike Schleifer, wenn die Stadtverwaltung trotz Beschwerden von Menschen mit Rollator oder Rollstuhl am Kopfsteinpflaster in der Innenstadt festhält. So wie unlängst, als der Gemeinderat entsprechende Pläne für die Sanierung der Karlstraße absegnete. Das habe nichts mit der stets betonten Inklusion zu tun, sagt die 43-jährige Rollstuhlfahrerin. Sie berichtet auch von anderen Hindernissen, die ihr an öffentlichen Einrichtungen begegnen.
„Ich bin ein Beispiel dafür, dass es jeden treffen kann“, sagt Ulrike Schleifer. „Bis vor zwei Jahren war ich noch völlig gesund.“Dann wurde bei der dreifachen Mutter die Krankheit Sklerodermie diagnostiziert. Sie bewirkt, dass sich das Bindegewebe verhärtet. Dies betrifft nicht nur die Haut, sondern auch innere Organe. Ulrike Schleifer ist deshalb großteils auf den Rollstuhl angewiesen.
„Immer wieder ausgebremst“
Wenn sie mit ihrem Mann in der Altstadt unterwegs ist, wird der Stadtbummel schnell zur Tortour. „Die Rollstühle, die man von der Krankenkasse bezahlt bekommt, haben sehr dünne Räder und sind nicht gefedert“, erklärt die 43-Jährige. „Da ist jeder Pflasterstein ein Schlag für mich. Ich bin dann total angespannt und will spätestens nach einer halben Stunde nur noch nach Hause.“Auch Menschen mit Rollator oder Gehbehinderung hätten Schwierigkeiten, auf diesem Belag gut voranzukommen.
Doch nicht nur die Straßenbeläge machen der Rollstuhlfahrerin zu schaffen. „Ich versuche, meinen Kindern, soweit es möglich ist, eine ganz normale Mutter zu sein, werde dabei aber immer wieder ausgebremst“, so ihre Erfahrung. Zum Beispiel, wenn sie zum Klassenfest oder Elternabend an der Berger-Höhe-Schule will: „Das Klassenzimmer ist im zweiten Stock, und es gibt keinen Aufzug.“Auch die Musikschule verfüge über keinen Lift. „Ich konnte meine sechsjährige Tochter noch nie zu ihrem Unterricht begleiten.“Auch beim Vorspiel der Musikschule im ersten Stock des Weberzunfthauses werde es schwierig.
Dabei lobt Ulrike Schleifer ausdrücklich das Engagement ihrer Umgebung: „Meine Mitmenschen machen alles möglich, damit ich teilhaben kann. Eine Lehrerin hat angeboten, alle Feste ins Erdgeschoss zu verlegen. Aber ich will ja nicht immer eine Extrawurst.“
Barrierefreie Zugänge zu öffentlichen Gebäuden sollten heutzutage selbstverständlich sein, findet sie. „Es gibt zum Beispiel Treppenlifte mit einer Vorrichtung für Rollstühle. Die passen an jede Treppe.“Doch auch bei der Rentenstelle – seit ihrer Krankheit eine wichtige Anlaufstelle – kommt sie an Grenzen: Mit dem Rollstuhl erreicht sie die Büros nicht. „Die Mitarbeiter kennen das schon und kommen dann immer mit allen Unterlagen runter ins Bürgerbüro“, berichtet Ulrike Schleifer.
Und dann erzählt sie noch die Geschichte von einer Rollstuhlrampe, die zwar vorhanden, aber unbrauchbar war: „Ich wollte mit meinen Kindern im Panoramabad Eglofs schwimmen gehen. Wir sahen, dass es eine Rampe für Rollstühle gibt – aber die war mit einem halben Meter Schnee zugeschippt.“Ulrike Schleifer bezwang die Treppen zu Fuß. „An guten Tagen geht das. An schlechten nicht. Dann muss ich wieder umkehren“, sagt sie. „Alle reden von Inklusion, aber kaum einer denkt mit.“