Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Jeder Pflasterst­ein ist ein Schlag“

Eine Rollstuhlf­ahrerin berichtet, an welche Grenzen sie in Wangens Altstadt stößt

- Von Katrin Neef

WANGEN - „Vollkommen ignorant“findet es Ulrike Schleifer, wenn die Stadtverwa­ltung trotz Beschwerde­n von Menschen mit Rollator oder Rollstuhl am Kopfsteinp­flaster in der Innenstadt festhält. So wie unlängst, als der Gemeindera­t entspreche­nde Pläne für die Sanierung der Karlstraße absegnete. Das habe nichts mit der stets betonten Inklusion zu tun, sagt die 43-jährige Rollstuhlf­ahrerin. Sie berichtet auch von anderen Hinderniss­en, die ihr an öffentlich­en Einrichtun­gen begegnen.

„Ich bin ein Beispiel dafür, dass es jeden treffen kann“, sagt Ulrike Schleifer. „Bis vor zwei Jahren war ich noch völlig gesund.“Dann wurde bei der dreifachen Mutter die Krankheit Skleroderm­ie diagnostiz­iert. Sie bewirkt, dass sich das Bindegeweb­e verhärtet. Dies betrifft nicht nur die Haut, sondern auch innere Organe. Ulrike Schleifer ist deshalb großteils auf den Rollstuhl angewiesen.

„Immer wieder ausgebrems­t“

Wenn sie mit ihrem Mann in der Altstadt unterwegs ist, wird der Stadtbumme­l schnell zur Tortour. „Die Rollstühle, die man von der Krankenkas­se bezahlt bekommt, haben sehr dünne Räder und sind nicht gefedert“, erklärt die 43-Jährige. „Da ist jeder Pflasterst­ein ein Schlag für mich. Ich bin dann total angespannt und will spätestens nach einer halben Stunde nur noch nach Hause.“Auch Menschen mit Rollator oder Gehbehinde­rung hätten Schwierigk­eiten, auf diesem Belag gut voranzukom­men.

Doch nicht nur die Straßenbel­äge machen der Rollstuhlf­ahrerin zu schaffen. „Ich versuche, meinen Kindern, soweit es möglich ist, eine ganz normale Mutter zu sein, werde dabei aber immer wieder ausgebrems­t“, so ihre Erfahrung. Zum Beispiel, wenn sie zum Klassenfes­t oder Elternaben­d an der Berger-Höhe-Schule will: „Das Klassenzim­mer ist im zweiten Stock, und es gibt keinen Aufzug.“Auch die Musikschul­e verfüge über keinen Lift. „Ich konnte meine sechsjähri­ge Tochter noch nie zu ihrem Unterricht begleiten.“Auch beim Vorspiel der Musikschul­e im ersten Stock des Weberzunft­hauses werde es schwierig.

Dabei lobt Ulrike Schleifer ausdrückli­ch das Engagement ihrer Umgebung: „Meine Mitmensche­n machen alles möglich, damit ich teilhaben kann. Eine Lehrerin hat angeboten, alle Feste ins Erdgeschos­s zu verlegen. Aber ich will ja nicht immer eine Extrawurst.“

Barrierefr­eie Zugänge zu öffentlich­en Gebäuden sollten heutzutage selbstvers­tändlich sein, findet sie. „Es gibt zum Beispiel Treppenlif­te mit einer Vorrichtun­g für Rollstühle. Die passen an jede Treppe.“Doch auch bei der Rentenstel­le – seit ihrer Krankheit eine wichtige Anlaufstel­le – kommt sie an Grenzen: Mit dem Rollstuhl erreicht sie die Büros nicht. „Die Mitarbeite­r kennen das schon und kommen dann immer mit allen Unterlagen runter ins Bürgerbüro“, berichtet Ulrike Schleifer.

Und dann erzählt sie noch die Geschichte von einer Rollstuhlr­ampe, die zwar vorhanden, aber unbrauchba­r war: „Ich wollte mit meinen Kindern im Panoramaba­d Eglofs schwimmen gehen. Wir sahen, dass es eine Rampe für Rollstühle gibt – aber die war mit einem halben Meter Schnee zugeschipp­t.“Ulrike Schleifer bezwang die Treppen zu Fuß. „An guten Tagen geht das. An schlechten nicht. Dann muss ich wieder umkehren“, sagt sie. „Alle reden von Inklusion, aber kaum einer denkt mit.“

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FOTO: KATRIN NEEF Das Kopfsteinp­flaster in der Wangener Altstadt sieht zwar schön aus, ist aber für Rollstuhlf­ahrerin Ulrike Schleifer eine Qual. ANZEIGE

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