Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Absturzopfer kommt aus dem Hohenlohekreis
Der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider über geopolitische Risiken und ihre Bedeutung für Anleger
STUTTGART (lsw) - Beim Absturz der Boeing 737 Max 8 in Äthiopien mit 157 Todesopfern ist auch ein Baden-Württemberger ums Leben gekommen. Es handelt sich um einen Mann aus dem Hohenlohekreis, sagte am Donnerstag ein Sprecher des Innenministeriums. Nach dem Startverbot für alle Boeing 737 Max auch in den USA ist ein Großteil der weltweiten Flotte des Flugzeugtyps lahmgelegt. Der Konzern fürchtet nun um sein Image. Experten gehen davon aus, dass Boeing nun Schadenersatzforderungen und der Verlust von Aufträgen drohen.
RAVENSBURG - Brexit, Handelskriege, militärische und politische Konflikte – Anleger müssen in diesen Tagen vor allem schlechte Nachrichten verdauen. Hinter all diesen Krisen steckt ein besorgniserregender Trend: Die Abkehr vom Multilateralismus – von einem System einer vielfach verknüpften Weltwirtschaft mit allseitig geöffneten Märkten. Stattdessen gewinnt Protektionismus die Oberhand. Langjährige, verlässliche Handelspartner werden auf einmal zu Feinden, das Recht des Stärkeren tritt an die Stelle einer auf internationalen Regeln basierenden Handelspolitik. Warum Anleger geopolitische Risiken stärker beachten müssen erklärt der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Andreas Knoch.
Herr Sandschneider, ein Sprichwort besagt, politische Börsen haben kurze Beine. Gilt das noch?
Das gilt noch. Ein gutes Beispiel dafür ist das Referendum der Briten über den Austritt aus der EU im Juni 2016. Was folgte war ein Einbruch an den Börsen, der aber binnen kürzester Zeit wieder ausgebügelt war. Anleger sollten sich von der Tagespolitik nicht beeinflussen lassen. Sie hat keine Auswirkungen auf langfristige Entwicklungen an den Finanzmärkten. Anders sieht das bei geopolitischen Risiken aus, die wir zurzeit bedauerlicherweise zu Hauf registrieren.
Auf welche Risiken spielen Sie an?
Die lassen sich plakativ an drei Gesichtern festmachen: Donald Trump, Wladimir Putin und Xi Jinping. Wir waren über lange Jahre gewohnt, dass der Westen die Weltordnung dominiert. Doch das ändert sich gerade. Die USA als der Hegemon der vergangenen Dekaden zieht sich in Person von Präsident Trump mehr und mehr von der Weltbühne zurück. Parallel dazu wächst China unter Xi Jinping zur Supermacht heran. Und auch Russland strebt mit Wladimir Putin wieder nach verloren gegangene Größe. Flankiert wird das von technologischen Umbrüchen. Beides zusammen macht die Dinge kompliziert.
Was macht Ihnen aktuell die größten Sorgen?
Die verloren gegangene Berechenbarkeit. Im Kalten Krieg konnten sich die Akteure darauf verlassen, dass die andere Seite rational handelt – dass sie alles Mögliche tut, aber nicht den eigenen Untergang provoziert. Heute vermisse ich diese Stattdessen addieren sich Krisen und erhöhen das Risiko, dass Zufallskonflikte massive Auswirkungen haben. Nehmen Sie die Situation im südchinesischen Meer zwischen China und den USA. Da reicht ein besoffener Skipper um eine Katastrophe auszulösen.
Wie politisch muss ein Anleger heute also denken?
Er muss sich auf mögliche Risikokonstellationen einstellen und sich beispielsweise fragen was es heißt, wenn sich die Vereinigten Staaten aus der Weltpolitik zurückziehen. Anleger müssen heute mehr als früher hinter die Kulissen der Konfliktherde schauen. Da die meisten damit naturgemäß sehr schnell überfordert sind, wird man nicht umhin kommen sich externe Expertise einzuholen.
Der Handelskrieg zwischen den USA und China, als einer der großen Konfliktherde heute, ist auch ein Kampf der Systeme. Wie bewerten Sie die Zukunftschancen der freiheitlich westlichen Wirtschaftsordnung auf der einen und des Staatskapitalismus chinesischer Prägung auf der anderen Seite?
Das wird sich zeigen. Das Beispiel China zeigt aber deutlich, wie sehr sich der Westen in der Annahme getäuscht hat, dass es Wachstum und Wohlstand nur in einer freiheitlich marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung geben kann. Vor ziemlich genau 40 Jahren begann China seinen Aufstieg. Und in diesem Zeitraum sind nicht nur viele Chinesen superreich geworden. Noch viel mehr sind aus bitterer Armut in eine wohlhabende Mittelschicht geholt worden. Der Staatskapitalismus chiRationalität. nesischer Prägung kann also auch Wohlstand erzeugen. Mit dieser Erkenntnis kämpft der Westen noch schwer.
Zuletzt kamen weniger euphorische Konjunktursignale vom Reich der Mitte. Wie bewerten Sie die Daten?
Chinesischen Zahlen dürfen Sie nicht trauen, die sind alle politisch frisiert. Die Parteiführung in Peking ist davon überzeugt, dass Wachstumsraten von um die sechs Prozent ausreichen, um politische Stabilität zu gewährleisten. Deshalb werden die Wachstumsraten auch um die sechs Prozent ausfallen. Davon abgesehen ist der chinesische Wachstumstrend in Takt und man muss konstatieren, dass die chinesische Führung in den vergangen 40 Jahren kaum Fehler in der Wirtschaftspolitik gemacht hat. Gleichwohl: Die Vergangenheit ist kein Garant, dass das in der Zukunft auch so ausgeht.
Lassen Sie uns noch nach Großbritannien blicken. Auf was müssen sich Anleger beim Brexit noch einstellen?
Die Debatte ist so vergiftet, dass momentan kein brauchbarer Ausweg zu erkennen ist. Zurzeit sieht alles danach aus, dass es tatsächlich zu einem harten Brexit kommt. Die Finanzmärkte dürften darauf aber nicht allzu wild reagieren, da das Szenario im Grunde schon eingepreist ist.