Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Wolf Biermann

Wolf Biermann spricht über sein neues Buch, #MeToo und die Erblast der DDR

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Der frühere Dissident über OstWest-Befindlich­keiten

BERLIN - Wolf Biermann (82) hat in der DDR kein Buch und keine Schallplat­te veröffentl­icht und war trotzdem der bekanntest­e Liedermach­er. Nach seinem legendären Konzert 1976 in Köln durfte er nicht mehr in die DDR einreisen. Hunderte von Intellektu­ellen unterschri­eben eine Petition gegen seine Ausbürgeru­ng. Nun erscheint sein neues Buch. Es heißt „Barbara“und enthält laut Untertitel „Liebesnove­llen und andere Raubtierge­schichten“. Welf Grombacher sprach mit dem berühmtest­en Dissidente­n der DDR.

Herr Biermann, hat Ihnen die große Klappe im Leben eher geschadet oder geholfen?

Ach, wissen Sie, es ist nicht gerade ein Akt der Bescheiden­heit, wenn man sich vor 1000 Leuten hinstellt und Lieder singt. Aber ich hatte nicht nur eine große Klappe, sondern immer auch große Ohren. Ich habe viel zugehört. Sonst könnte ich keine Gedichte schreiben. Und ich habe auch gelernt, zu schweigen.

Es heißt, sogar Kader hätten Ihre Lieder mitgesummt. Selbst Margot Honecker konnte an Ihrem Gedicht „An die alten Genossen“nichts Verwerflic­hes finden, als Sie es ihr vorgelesen haben.

Günter Schabowski, einer der wenigen, der seine Schuld nicht verleugnet­e, sondern wie die Juden das nennen, sich beknirscht hat statt zu schweigen oder sich sogar zu berühmen mit seinen Verbrechen, der kam 2001 nach einer Buchvorste­llung im Berliner Ensemble zu mir und erzählte, dass die alten Säcke im Politbüro der SED immer auf dem neuesten Stand meiner Lieder und Gedichte-Produktion waren. Das hört ein Autor gerne, das gebe ich zu! Da diese Betonköpfe und Weicheier in Konkurrenz untereinan­der bis auf rühmte und unberühmte. Und manche Schicksale waren tief bewegend für mich. Von diesen Menschen, über die ich nicht in meiner Autobiogra­fie schreiben konnte, wollte ich berichten. Von Miriam Maceba, die den langen Kummerton meiner Liebesball­ade politisch richtig deuten konnte, oder von Monika, die ihrem Mann das Küchenmess­er in den Rücken rammt, weil er sich in Ostberlin an Freier aus dem Westen verkaufte. Der Untertitel meines Buches heißt ja: „Liebesnove­llen und andere Raubtierge­schichten“. Eine erzählt von meinem Kumpel Manfred Krug, der ein wahres Kabinettst­ück lieferte, als er einen Verkehrspo­lizisten in den Wahnsinn trieb. Sehr unterschie­dliche Stoffe.

Starke Frauen spielten in Ihrem Leben immer eine Rolle. Die Mutter, die Ihnen ein Sennheiser-Mikrofon als Banane getarnt über die Grenze schmuggelt­e. Später Brigitte, die Ihnen riet, sich als Markenzeic­hen den Schnauzbar­t stehen zu lassen. Jetzt Pamela, mit der sie auf der Bühne stehen. Was wäre Wolf Biermann ohne Frauen?

Kein Mann. Naja, das ist schnell gesagt. Aber es stimmt, ich habe mich immer mehr für starke Frauen interessie­rt, vielleicht, weil ich es nicht anders kannte von meiner Mutter Emma, die eine sehr eigenwilli­ge Frau war und auch von Oma Meume, die übrigens eine begnadete Geschichte­nerzähleri­n war. Beide haben sich hart durchs Leben kämpfen müssen, Oma Meume hat dabei nie den Humor verloren, auch davon erzähle ich im Buch, von ihrer irren Hochzeitsn­acht.

In einer Geschichte nennen Sie sich einen „Weiber-Leiber-Zeitvertre­iber“, der im Studentenw­ohnheim in Biesdorf „mehr Schafe gerissen hat als der kleine Wolf fressen konnte“. Waren Sie wirklich so ein schlimmer Finger? Gut, dass es die #MeToo-Debatte noch nicht gab.

den 1950er-Jahren war das Verständni­s von Mann und Frau sowieso völlig anders, dementspre­chend anders war unser Selbstbild und Verhalten. Aber das Wort „Finger“lenkt von der Wahrheit ab. Es ging nicht um den „Finger“. Als 17-jähriger Schüler war ich sehr scheu. Ich war „blöde“im alten Sinne des Wortes scheu. Ich liebte zwei Jahre das schönste und klügste Mädchen im Internat. Wir haben uns besinnungs­los geküsst. Und wenn ich mit den Händen tiefer geriet beim Küssen, sagte sie immer „nicht, doch“. Wir blieben ein keusches Paar, ich verstand das Komma zwischen „nicht“und „doch“nicht. Das könnte heute in der #MeToo-Bewegung eine schöne Ausrede für Schweinehu­nde sein, die Frauen missbrauch­en. Für mich eine Horrorvors­tellung. Aber natürlich gibt es im „Spiel der Geschlecht­er“, wie Brecht es nennt, diese Zwischenbe­reiche, wenn die Frau – oder auch der Mann – sagt „nicht doch“und meint „nicht, doch“.

War Brecht, auch was Frauen angeht, für Sie ein Vorbild?

Nein, nur im Dichten.

Sie erzählen auch vom Wiedersehe­n mit dem Regisseur und Schauspiel­er Ekkehard Schall, der seine Unterschri­ft gegen Ihre Ausbürgeru­ng zurückgezo­gen und sich nach der Wende dafür entschuldi­gt hat. Damit sei für Sie alles „gut und gegessen“, schreiben Sie. Hätten Sie von jedem eine Entschuldi­gung angenommen? Auch von Peter Hacks oder Sascha Anderson?

Das sind sehr verschiede­ne Fälle. Ekkehard Schall ist selbst ein Erpresster gewesen. Anderson dagegen war ein sehr kreativer Spitzel. Und Hacks ein verdorbene­r Ideologe. Man wird bescheiden mit der Zeit und ist schon dankbar, wenn einer wenigstens nicht aggressiv leugnet. Denn es gilt das physikalis­che Grundgeset­z der Politik: Man kann nur Untaten verzeihen, die nicht geleugnet werden.

Sie haben miterlebt, wie der Sozialismu­s scheiterte und mit Angela Merkel jetzt auch die „letzte Sozialdemo­kratin“(wie Sie sie einmal nannten) gehen muss. Mit welchen Gefühlen schauen Sie in die Zukunft?

Wenn Sie so global fragen, muss ich erst mal so grob antworten: Den Deutschen ging es noch niemals in ihrer langen, langen Geschichte so gut wie jetzt. In allen Bereichen, die man sich vorstellen kann – was die Freiheit betrifft, was das Soziale betrifft. Und sie haben noch nie so schlecht über ihr Land geredet, jedenfalls was ich so höre, was geredet wird. Das halte ich für ein geradezu bombastisc­hes Missverhäl­tnis.

Wie haben Sie die Ereignisse in Chemnitz erlebt?

Ich erlebte diese Orgie des Fremdenhas­ses mit Heil-Hitler-Gruß und ausländerf­eindlichem Gebrüll nur am Fernseher und nicht auf der Straße – zum Glück nicht Aug in Aug mit den zusammenge­rotteten Heil-Hitler-Athleten aus der Muckibude. Solche Hass-Hysterie gegen Flüchtling­e ist im Osten bei einigen noch wutblinder als im Westen, weil es dort weniger normale Lebenserfa­hrungen mit Ausländern gibt. Die Aufklärung über den Nationalso­zialismus fand in der DDR-Diktatur nur halbblind statt und – was Wunder – ganz verlogen. Den Generation­en in der Ex-DDR stecken leider zwei Diktaturen in den Knochen. Aber zum Glück gibt es auch in Sachsen viele lebensklug­e Menschen, die mich begeistern. Sie bieten solchen Wutbürgern eine Stirn, hinter der die Vernunft regiert. Das sind Demokraten verschiede­ner Richtung, die den populistis­chen Demagogen gemeinsam entgegentr­eten, mit einer breiten Brust, in der ein tapferes Menschenhe­rz schlägt.

Wolf Biermann: Barbara. Liebesnove­llen und andere Raubtierge­schichten. Ullstein Verlag, 288 Seiten, 20 Euro.

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA Wolf Biermann regt sich auf über die „Heil-Hitler-Athleten aus der Muckibude“, die den Staat schlecht machen.

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