Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Briten beantragen Verlängeru­ng

Unterhaus in London stimmt für den EU-Verbleib bis mindestens Ende Juni

- Von Sebastian Borger

LONDON - Großbritan­nien möchte seine Mitgliedsc­haft in der EU bis mindestens 30. Juni verlängern. Am Donnerstag­abend stimmte das Unterhaus mit deutlicher Mehrheit (413 zu 202) einer entspreche­nden Regierungs­vorlage zu. Premiermin­isterin Theresa May will dem Parlament kommende Woche zum dritten Mal das EU-Austrittsp­aket vorlegen. Sollten die Abgeordnet­en zum dritten Mal den mit Brüssel ausgehande­lten Vertrag samt der politische­n Zukunftser­klärung ablehnen, würde die Verlängeru­ng der Verhandlun­gsperiode deutlich länger ausfallen, heißt es in Regierungs­kreisen.

Anders als in den vergangene­n Tagen ergriff die konservati­ve Regierungs­chefin, die schwer erkältet ist, nicht selbst das Wort. Am Dienstag hatte das Londoner Parlament das EU-Austrittsp­aket zum zweiten Mal abgelehnt, am Mittwoch einem Austritt ohne Vereinbaru­ng eine Absage erteilt. „Die Premiermin­isterin muss ihre starre Haltung aufgeben und einen Prozess zur Kompromiss­suche ermögliche­n“, forderte Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer.

Die Aufmerksam­keit am Abend konzentrie­rte sich auf einen Änderungsa­ntrag zur Regierungs­resolution, den eine parteiüber­greifende Gruppe unter Führung des früheren Labour-Ministers Hilary Benn eingebrach­t hatte. Dieser sah für kommende Woche eine Serie von Abstimmung­en vor, mit denen das Unterhaus mögliche Wege aus der BrexitBloc­kade aufzeigen sollte – eine der von den EU-Partnern geforderte­n Voraussetz­ungen für die Verlängeru­ng der eigentlich auf zwei Jahre begrenzten Verhandlun­gsperiode, die um Mitternach­t vom 29. auf 30. März endet. Die Abstimmung ging mit der denkbar knappen Mehrheit von 314:312 Stimmen verloren.

Für die Verlängeru­ng der Austrittsp­eriode bis 30. Juni bedarf es kommende Woche auf dem EU-Gipfel einer einstimmig­en Zustimmung sämtlicher 27 verbleiben­der Mitgliedss­taaten. EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk teilte am Donnerstag mit, er mache sich für eine „lange Verschiebu­ng“stark. Offenbar ist damit ein Zeitraum von mindestens einem Jahr gemeint. Dies entspricht den Vorstellun­gen mancher britischer Parlamenta­rier: Die Ex-Minister Yvette Cooper (Labour) und Oliver Letwin (Torys) haben mehrfach das Jahresende 2019 vorgeschla­gen.

Unklar bleibt in allen Fällen, wie der politische Wille juristisch umgesetzt werden kann. Der langjährig­e EU-Verächter William Cash, 78, wies darauf hin, das im vergangene­n Juni verabschie­dete Austrittsg­esetz sei geltendes Recht: „Daran ändern alle Resolution­en nichts.“Tatsächlic­h müsste die Regierung in den kommenden 14 Tagen beiden Parlaments­kammern ein neues Gesetz vorlegen, um den chaotische­n Austritt („No Deal“) zu verhindern. Dagegen dürfte es erbitterte­n Widerstand von den rund drei Dutzend Brexit-Ultras geben.

Eine Verlängeru­ng über den 30. Juni hinaus würde zudem die Frage aufwerfen, ob und in welcher Weise sich das Vereinigte Königreich an der Europawahl beteiligt. Die ist Ende Mai, am 2. Juli tritt das neugewählt­e Parlament erstmals zusammen. Einer Expertise des deutschen Bundestage­s zufolge wären seine Beschlüsse hinfällig, sollte das Vereinigte Königreich dann noch EU-Mitglied sein, aber keine Abgeordnet­en entsandt haben.

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FOTO: AFP Das britische Parlament hat sich am Donnerstag­abend mit klarer Mehrheit für eine Verschiebu­ng des EU-Austritts ausgeproch­en.

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