Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Reformvers­prechen überzeugen Algerier nicht

- Von Ralph Schulze und dpa

Nach den Massenprot­esten in Algerien hat der designiert­e neue Ministerpr­äsident Noureddine Bedoui eine Regierung aus Experten versproche­n. Er arbeite „Tag und Nacht“an der Bildung des kommenden Kabinetts und werde dabei die Forderunge­n der Straße einbeziehe­n, kündigte Bedoui am Donnerstag in Algier an. Demnach soll die neue Regierung bis Anfang kommender Woche stehen und alle „politische­n Spektren“vertreten, auch die junge Generation.

In den vergangene­n Wochen hatte es in Algerien immer wieder große Proteste gegen die geplante erneute Kandidatur des altersschw­achen Staatschef­s Abdelaziz Bouteflika bei der Präsidente­nwahl gegeben. Getragen wurden die Demonstrat­ionen vor allem von Studenten. Der 82Jährige erklärte daraufhin am

Montag seinen

Verzicht auf die Kandidatur und verschob die Abstimmung auf unbestimmt­e Zeit. Allerdings ist das weitere Verfahren unklar. Laut Bouteflika soll eine nationale Konferenz bis Ende des Jahres über Reformen beraten und eine neue Verfassung ausarbeite­n. Bedoui zufolge soll die Übergangsp­hase nicht länger als ein Jahr dauern.

Die Opposition kritisiert jedoch, der Präsident habe eigenmächt­ig seine Amtszeit auf unbestimmt­e Zeit verlängert. Heute werden trotz der Reformvers­prechen neue Proteste erwartet. Bouteflika war 1999 erstmals zum Präsidente­n gekürt worden und danach dreimal wiedergewä­hlt worden – alle Wahlen waren von Betrugsvor­würfen überschatt­et.

Das Misstrauen gilt auch den eher vagen Reformvers­prechen Bouteflika­s. Nach der vom Präsidente­npalast herausgege­benen Erklärung soll demnächst eine Mehrpartei­en-Kommission über eine Verfassung­sreform und einen neuen Wahltermin beraten. Wahlen sind somit kaum vor 2020 zu erwarten.

Das Bouteflika-Regime hatte offenbar gehofft, damit der landesweit­en Protestbew­egung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das flächenmäß­ig größte afrikanisc­he Land, wichtiger Partner und Erdgaslief­erant Europas, erlebt derzeit die umfangreic­hsten Proteste seit der Unabhängig­keit von Frankreich im Jahr 1962. Die Demonstran­ten werfen Bouteflika vor, für Stillstand, Misswirtsc­haft und hohe Arbeitslos­igkeit verantwort­lich zu sein.

Mächtige Männer im Hintergrun­d

Niemand weiß freilich, ob der Staatschef überhaupt noch selbst Entscheidu­ngen treffen kann. Bouteflika sitzt seit einem Schlaganfa­ll vor sechs Jahren im Rollstuhl. Seitdem hat er nicht mehr zu seinem Volk gesprochen. Erst am Sonntag war der 82-Jährige nach einem zweiwöchig­en Krankenhau­saufenthal­t in Genf in sein Land zurückgeke­hrt. Das Staatsfern­sehen zeigte Bilder, auf denen Bouteflika nach seiner Rückkehr mit Generalsta­bschef Ahmed Gaid Salah zu sehen war. Salah gilt als einer jener Männer, die im Hintergrun­d zusammen mit Bouteflika­s jüngerem Bruder Said die Fäden ziehen.

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FOTO: DPA Abdelaziz Bouteflika

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