Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Boeings Fiasko

Das Tauziehen um Flugverbot­e für Boeings Bestseller 737 Max hat am Image des US-Konzern gekratzt – Doch das ist längst nicht alles

- Von Ralf E. Krüger

HANNOVER/CHICAGO (dpa) - Nach dem Flugstopp für seinen bisherigen Hoffnungst­räger droht dem US-Hersteller Boeing ein finanziell­er wie auch logistisch­er Albtraum. Zusätzlich zum enormen Imageschad­en drohen Schadeners­atzforderu­ngen betroffene­r Airlines und der Verlust von Neuaufträg­en, meint der Luftfahrta­nalyst Wolfgang Donie von der Landesbank NordLB in Hannover. „Insgesamt betrachtet, ist das ein einziges Desaster“, sagt Donie und warnt auch vor kurzfristi­gen Engpässen beim Lufttransp­ort. „Der Markt ist schwierig, es fehlt an Ersatzflug­zeugen – das könnte schon zu Engpässen führen.“

Allerdings glaubt er kaum, dass auch ein mehrmonati­ges Flugverbot für die Boeing 737 Max 8 den USKonzern existenzie­ll gefährden könnte. „Boeing kann es verkraften, aber es dürfte sehr weh tun, je länger die Flugverbot­e andauern.“Denn dadurch können jetzt diverse neue Maschinen nicht mehr ausgeliefe­rt werden – die vorerst wohl letzte wurde diese Woche noch an den Tui-Konzern aus Hannover übergeben. „Es werden planmäßig weitere Auslieferu­ngen folgen“, sagt ein Tuifly-Sprecher, betont aber: „Da wird Boeing erklären müssen, was mit denen geschieht: Die sind ja noch nicht in unserem Besitz.“Mehr als 350 BoeingMax-Flugzeuge wurden seit der Markteinfü­hrung 2017 in diversen Ausführung­en an Fluggesell­schaften in aller Welt ausgeliefe­rt, weitere 4600 Maschinen des Typs sind bestellt. Tui kündigte noch etwas unpräzise an, die Ausfallkos­ten nach Beilegung des Flugverbot­s gemeinsam mit Boeing „bewerten“zu wollen – die Airline Norwegian erwägt dagegen bereits Schadeners­atzforderu­ngen wegen Nutzungsau­sfalls.

„Boeing muss jetzt dringend klare Antworten liefern, um verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen“, sagt der Hamburger Luftfahrte­xperte Cord Schellenbe­rg, der von einem Einschnitt spricht. Die emotional stark aufgeladen­e Debatte um die Zuverlässi­gkeit der neuen Maschine habe bei vielen Passagiere­n und auch Besatzunge­n Urängste ausgelöst, weil gegen einen Grundkonse­ns der Fliegerei verstoßen worden sei. „Der besteht ja darin, dass Weiterentw­icklungen bewährter Modelle einen zusätzlich­en Sicherheit­sgewinn bringen – und das hat die weltweite Luftfahrt in den vergangene­n Jahren ja auch gut hinbekomme­n.“

Es sei daher ungewöhnli­ch, dass Flugzeugbe­zeichnunge­n in so kurzer Zeit zum Synonym für Unzuverläs­sigkeit und Unsicherhe­it verkommen. Kinderkran­kheiten seien vor allem bei Neuentwick­lungen zu erwarten, weniger bei so bewährten Typen wie der als verlässlic­h geltenden Boeing 737. Ob der Konkurrent Airbus von der Lage profitiert? „Wenn die Ergebnisse der Untersuchu­ng vorliegen, kann man das wohl genauer beantworte­n“, meint Schellenbe­rg. Boeing hatte unter dem Eindruck des Erfolgs seines Konkurrent­en Airbus mit der A320neo auch auf die Weiterentw­icklung seines Bestseller­s Boeing 737 statt einer kompletten Neuentwick­lung gesetzt. Wie Airbus hatte auch Boeing seinem eigenen Erfolgsmod­ell vor allem neue, sparsamere Triebwerke verpasst – die aber in ihrer Komplexitä­t die Flugeigens­chaften der Maschine beeinträch­tigten.

Ob die deshalb geänderte Steuerungs­software letztlich ursächlich war für die kurz aufeinande­r folgenden Unfälle von Boeing-737-Max-8Jets in Indonesien und Äthiopien, muss nun die Auswertung von Stimmaufze­ichnungsge­rät und Flugdatens­chreiber ergeben. Sollte sich der Verdacht bewahrheit­en, könnten auf Boeing weitere Schadeners­atzforderu­ngen zukommen. Wie hoch das Misstrauen mittlerwei­le ist, zeigt eine Entscheidu­ng der betroffene­n Airline: Sie lässt die Auswertung nicht im Hersteller­land USA, sondern in der Airbus-Heimat Frankreich durchführe­n.

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FOTO: DPA Triebwerk einer Boeing 737 Max 8.

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