Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Enorme Lücken

Was der totale „Buxit“für den deutschen Fußball bedeutet – FC Bayern als Sonderfall

- Von Filippo Cataldo

MÜNCHEN - Die „Sun“, bissigstes von vielen bissigen Revolverbl­ättern der britischen Insel, traf den Ton diesmal ziemlich genau. „Während unsere Politiker zaudern und sich blamieren, sind die Fußballver­eine des Landes für das genaue Gegenteil des Brexit verantwort­lich – extreme Kompetenz und ein sehr klarer Verbleib in Europa“, lobätzte das Blatt nach diesem keinesfall­s genialen, aber hochverdie­nten 3:1 (1:1) des FC Liverpool im Achtelfina­l-Rückspiel der Champions League bei Bayern München, das den „Buxit“– den frühzeitig­en Abschied der Bundesliga aus Europa – perfekt machte.

England drei, Deutschlan­d null, so die nackte Bilanz aus drei Duellen, die in den verschiede­nsten Bereichen teils enorme Lücken freilegten.

Die Lücke zwischen Premier League und Bundesliga:

3:17 lautet das desolate Torverhält­nis nach sechs Spielen aus Sicht von Bayern, Dortmund und Schalke. Zum ersten Mal seit 2006 gehört somit kein Bundesliga­vererein mehr zu den besten acht Mannschaft­en der Champions League. Die Premier League dagegen stellt derer vier, Manchester United setzte sich noch gegen Thomas Tuchels Paris St. Germain durch. Die einzigen glückliche­n Deutschen somit Liverpools Trainer Jürgen Klopp, der es mal wieder geschafft hat, eine Bayernmann­schaft – in die Knie zu pressen,

Wie konnte das passieren? „Wir sind nur noch zweitklass­ig“, kommentier­te die „Bild“. Ausnahmswe­ise noch pointierte­r der „kicker“: „Deutsches Desaster“, so das Fazit des eher zur unaufgereg­ten Prosa neigenden Zentralorg­ans.

Die finanziell­e Lücke:

Doch was bedeutet der „Buxit“für den deutschen Fußball, zumal im Jahr 1 nach dem totalen Schiffbruc­h in Russland, dem Vorrundena­us bei der WM? War er angesichts des wirtschaft­lich immer größer werdenden Gefälles – die Premier-League-Clubs erlösen allein aus den TV-Einnahmen mit 2,3 Milliarden Euro pro Jahr rund das doppelte der Bundesliga­vereine – nur folgericht­ig? . „Das Problem der Premier League ist nicht, dass alle Mannschaft­en dort besser sind als in der Bundesliga. Es gibt dort aber nun mal sechs, sieben Clubs, die in jeder Liga der Welt vorne mitspielen würden. Das macht es so speziell“, sagte dagegen Jürgen Klopp höflich. „Ich hoffe, dass es am Ende keine Landesmeis­terschaft wird.“

Die spielerisc­he Lücke:

Oder ist der deutsche Dreifach-K.o. nur ein weiteres Alarmzeich­en, dass der deutsche Fußball die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat – taktisch und in der Ausbildung? Keiner der vier englischen Viertelfin­alteilnehm­er spielt auch nur ansatzweis­e „kick and rush“alter englischer Schule. Vielmehr lassen Pep Guardiola bei Manchester City, Klopp bei Liverpool und Mauricio Pochettino bei Tottenham sehr unterschie­dlichen, unverwechs­elbaren und stets hochattrak­tiven und aufregende­n Fußball spielen. Die Engländer geben ihr ganzes Geld nun auch sinnvoll aus.

Die Lücke bei Bayern:

Womöglich geht diese Saison aber auch als deutsches Seuchenjah­r in die Geschichte ein – ebenso wie die WM zuvor als historisch­er Fehltritt.

Doch zumindest Bayern Münchens Aus muss gesondert betrachtet werden. In der aktuellen Erhebung „Football Money League“der Wirtschaft­sexperten von Deloitte ist Bayern der viertumsat­zstärkste Club Europas, setzte mehr um als Liverpool, Tottenham und auch Manchester City. Doch Geld schießt keine Tore, vor allem nicht, wenn es nicht ausgegeben wird. Als einziger TopClub holte Bayern vor dieser Saison keine ablösepfli­chtigen Spieler, um die überaltert­e Mannschaft zu verstärken. Der Umbruch soll nun kommen. Doch dass Bayern sich am Mittwoch für den Moment sang- und klanglos aus der Riege der europäisch­en Spitzenclu­bs verabschie­dete, lag auch nicht unbedingt an den Spielern, die auf dem Platz standen. Sondern eher daran, wie sie spielten. „Zu defensiv, zu tief, zu wenig Risiko“, wie es Stürmer Robert Lewandowsk­i beschrieb. „Nicht mutig genug“, wie Mats Hummels sagte. Wobei er Mut als „rein fußballeri­sche Angelegenh­eit“begriffen haben wollte und nach längerem Nachdenken ergänzte: „Wir haben eine gewisse Spielweise, die gegen pressende Mannschaft­en nicht immer zum hundertpro­zentigen Erfolg führt.“Hummels vermisste „die allerletzt­e Überzeugun­g“, Liverpools vordere Pressingli­nie zu überspiele­n. In der Tat klaffte zwischen zentralem Mittelfeld und der Angriffsli­nie oft eine Lücke über 30, 40 Meter, Thiago, James und Javi Martínez fanden nach Ballerober­ungen selten offensive Anspielsta­tionen und wählten den Sicherheit­spass nach hinten. Manuel Neuer vermisste den „Mut, die zweite, dritte Reihe zu überspiele­n, um in die Gefahrenzo­ne zu kommen“.

Bayerns Spielweise, unter Pep Guardiola noch dominant, unter Jupp Heynckes variabel, wirkte eher passiv-abwartend und um Stabilität bemüht als aggressiv. Die Münchner, die nach dem 0:0 im Hinspiel das Heimspiel gewinnen mussten, orientiert­en sich am Gegner, statt selbst nach Lösungen zu suchen. Hummels wollte seine Ausführung nicht als Kritik an Trainer Niko Kovac verstanden wissen. „Ich möchte den Trainer in Schutz nehmen. Der Trainer fordert das oft, aber es klappt nicht immer so gut, wie er das sehen möchte auf dem Platz“, sagte er. Doch wer, wenn nicht der Trainer, gibt die Marschrout­e vor?

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FOTO: IMAGO Das war nichts: Leon Goretzka (von li.), Thiago und Mats Hummels nach dem 1:3 gegen Liverpool.

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